»Heiliger Schein«: Die Seite 3 vom 8.6.2012

Sensationshungrige Süddeutsche?

Petra Maurer
Professorin für Tibetologie
LMU München

München, den 29.06.2012

Ausgerechnet Hans Leyendecker, der einen Journalistenpreis ablehnt, weil er nicht mit Reportern der Bildzeitung auf eine Stufe gestellt werden möchte, ist an diesem schlecht recherchierten Artikel über die angeblichen Aktivitäten des Dalai Lama beteiligt. Dieser Artikel bietet keinerlei neue Erkenntnisse, außer vielleicht über die Süddeutsche Zeitung und ihre Journalisten.

10 Jahre und älter sind die Bücher der CIA-Mitarbeiter, die an den Aktivitäten beteiligt waren. Und nun dieser Bericht? War der Dokumentarfilm von Lisa Cathey über den Widerstand der Auslöser? Die Filmemacherin ist über die Berichterstattung zum Dalai Lama entsetzt, wie sich in ihrem Blog nachlesen lässt. Sicher ist, dass die USA wegen ihrer antikommunistischen Einstellung bzw. wegen des „Kalten Krieges“ in Tibet aktiv wurden und nicht, weil sie Land und Leute befreien wollten – ganz zu schweigen davon, dass in diesem Artikel der Einmarsch der Chinesen in Tibet mit keinem einzigen Wort erwähnt wird. Bei etwa 19 Flügen der CIA wurden in den Jahren 1957 bis 1960 ganze 47 Widerstandskämpfer über Tibet abgesetzt; später zwischen 1957 und 1962 noch einmal 170. Können diese, zum Teil in Teams von zwei Personen abgesetzten Widerstandskämpfer ihr Land befreien? Wohl nicht, auch nicht mit „Tonnen von Waffen“ – selbst wenn geschätzte 2000 Khampas und nicht „85.000 Kämpfer im Einsatz“ waren.

Ja, von Nepal aus gab es mindestens einen größeren Überfall auf einen chinesischen Militärkonvoi, bei dem Chinesen getötet und Akten erbeutet wurden. Meinen die Autoren diese Aktion, wenn sie sagen, es sei ein „äußerst blutiger Krieg, der von etwa 1955 bis Anfang der siebziger Jahre geführt wurde“? Oder spielen Sie doch auf die kriegerischen Aktivitäten und Bomdardements an, die von chinesischer Seite aus seit Anfang des 20. Jahrhunderts auf tibetischem Boden stattfanden?

Selbstverständlich ist das Bild des friedliebenden Tibeters eine Idealisierung des Westens, die Zeichnung einer heilen Welt, eines Shangri-la, das es nie gegeben hat. Mir geht es auch nicht um blinde Parteiergreifung für den Dalai Lama, doch dieser seinerzeit sehr junge Mann war schlichtweg nicht Verhandlungspartner der CIA. Was hier in der Süddeutschen Zeitung aus Unkenntnis (?) gezeichnet wird, müsste jeden seriösen Journalisten beschämen.

Mir stellen sich angesichts des Artikels Fragen, wie: Warum wird die Bezeichnung „Gottkönig“ gewählt, die längst überholt ist? Warum haben die Autoren dieses Artikels nicht seit Jahren publizierte Literatur zur Kenntnis genommen, um damit den Lesern eine wenigstens halbwegs objektive Darstellung der Fakten zu bieten?

„Krieg ist Krieg. Und Politik ist Politik“ Welche Politik verfolgt die SZ? Irreführung oder bewusste Fehlinformation? Ich hätte weitaus bessere Recherchen erwartet, und keine Behauptungen, die geschichtliche Fakten verdrehen, Schwarz-Weiß-Malerei betreiben und ein neues Feindbild zu kreieren versuchen – für derartige Informationen brauchen wir keine Zeitungen.  ■


Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Petra Maurer. Dieser Leserbrief wurde an die Süddeutsche Zeitung gesendet, dort aber aus Platzgründen nicht veröffentlicht.

Titelbild: Premierminister Jawahahrlal Nehru zeigt dem Dalai Lama und Panchen Rinpoche einen Markierungspunkt, 1957. © www.dalailama.com

Ornament

Zur Autorin

Dr. Petra Maurer ist Professorin für Tibetologie und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Wörterbuch der Tibetischen Schriftsprache). Näheres siehe: LMU München