Streit um Shugden

Michael von Brück
Ludwig-Maximilians-Universität München
Interfakultärer Studiengang Religionswissenschaft

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Allgemeine Beschreibung des Problems

Die Exil-Tibeter stehen vor einer inneren Zerreißprobe. Es könnte zu Spaltungen kommen, die politisch verhängnisvoll wären. Der Dalai Lama hat den populären Kult der „Gottheit“ Shugden verboten. Protestierende Mönche des Klosters Gaden wurden wegen Widerstandes gegen das Gelübde des Gehorsams aus der Mönchsgemeinschaft ausgeschlossen. Ein religiöser Konflikt mit politischem Hintergrund – oder ein politischer Konflikt, der sich religiös einkleidet? Wer will das so genau sagen, zumal die Welt der Religionen seit eh und je vergleichbare Konflikte durchlebt hat. Aber im geistigen Umfeld des Dalai Lama, des humorvollen Weisen auf dem Politikersessel, hatte man solches doch nicht vermutet! Der Dalai Lama, Friedensnobelpreisträger von 1989 und international hochgeachteter Advokat des Dialogs der Religionen, der „Papst der Protestanten“ (wie ein pfiffiger Journalist nach dem Münchner Kirchtag 1993 titelte), – ein unduldsamer Wächter im eigenen Haus, der die Religionsfreiheit einschränkt?

So jedenfalls seine Gegner in tibetischen Klöstern, in Indien und Europa. Es sieht beinahe nach offener Revolte aus. Dagegen argumentieren andere, daß es sich um eine weitsichtige und unvermeidliche Reform handele. Besonders die Laien stehen (fast) geschlossen hinter dem Dalai Lama. Toleranz könne schließlich nicht heißen, das Gift der Spaltpilze zu dulden. Friedensstiftung im Geist der Religion bedeutet auch nicht, den Unvernünftigen gewähren zu lassen. Ein aus Weisheit gestifteter Friede unterzieht sich vielmehr der Transparenz des öffentlichen Argumentierens und setzt sich dem Widerspruch aus.

Das Problem, um das es geht, reicht bis zu den Anfängen des Buddhismus in Tibet zurück. Der tibetische Buddhismus kennt seit Jahrhunderten vier Hauptschulen oder „Konfessionen“: Nyingma, Kagyü, Sakya und Geluk. Sie haben vieles gemeinsam und in ihrer Geschichte miteinander kooperiert, nicht selten aber erbittert um geistliche wie wirtschaftliche Macht und politischen Einfluß gekämpft. Da liegt auch heute ein Problem der Auseinandersetzung. Denn „Shugden“ gilt als Beschützer der Gelukpa, die ohnehin die stärkste und mächtigste Gruppierung sind, und obendrein gehen aus dieser Gruppe die Dalai Lamas hervor. Deshalb fühlen sich die anderen Traditionen durch die Shugden-Verehrung bedroht, zumal dieser Kult in der tibetischen Geschichte Abgrenzung statt Kooperation bewirkt haben soll. Mit historischen Argumenten läßt sich das Problem jedoch nicht entscheiden. Es wird um die Plausibilität – und damit um den sozialen Zusammenhalt – einer ganzen Kultur gestritten. Denn nur durch Zustimmung zu dem, was gelten soll, läßt sich das friedliche Miteinander unterschiedlicher Gruppen und Traditionen unter den Tibetern – und nicht nur dort – gestalten. Auch der Dalai Lama weiß: Geschichtliche Konstellationen wirken unterschwellig fort; sie können gefährliche Mentalitätsmuster erzeugen und zum sozialen Sprengsatz werden.

Die Kontroverse schwelt seit Ende der siebziger Jahre. Sie hat sich im Sommer 1996 dramatisch verschärft, zumal durch Versendung von englischsprachigen Erklärungen des tibetischen Exilkabinetts rund um die Welt nun auch zunehmend Europäer und Amerikaner verunsichert sind. Ratlosigkeit breitet sich bei zahlreichen Tibet-Initiativen in aller Welt aus. Peking reibt sich die Hände und soll die Dalai Lama-Gegner finanziell unterstützen: Seit Jahrzehnten gibt es eine „Mongolisch-Tibetische Kommission“ bei der Regierung Taiwans, der Gelder aus Peking zufließen sollen. Ironie der Geschichte: die zwei verfeindeten chinesischen Staaten vereint gegen Tibet? Unbestritten ist, daß die chinesischen Kommunisten nun auch den Shugden-Kult im besetzten Tibet fördern, denn schließlich setzt Peking alles daran, die Autorität des Dalai Lamas zu untergraben. Worum aber geht es eigentlich?

Religionen verwässern im Laufe ihrer Geschichte immer wieder die Eindeutigkeit ihres Ursprungsimpulses. Wer wüßte es nicht. Die Botschaft Jesu ist so massiv korrumpiert worden, daß Europa auch heute noch die Schockwellen spürt, nicht nur auf dem Balkan. Der Buddha predigte den Pfad zur Befreiung aus dem Netz selbstverschuldeter Projektionen, die auf Egozentrismus, Gier und Haß beruhen. Sie verzerren nüchterne Wahrnehmung und vergiften das menschliche Handeln. Aber aus diesen klar überschaubaren Anfängen wurden nach Jahrhunderten komplexe Systeme der Philosophie und des Kultes, die miteinander rivalisierten. Konfessionen entstanden, inzelne Gruppen strebten nach Macht und politischem Einfluß, Mönche, die der Welt entsagt hatten, lebten in Klöstern, die durch Schenkungen reich wurden und wirtschaftlichen Einfluß gewannen. Das war in Europa nicht anders als in Tibet, China oder Japan. Im Laufe dieser Entwicklungen nahmen die Religionen kulturelle Elemente der Länder auf, die sie missionierten. So ist das Christentum nicht ohne die vorchristlichen „Gottheiten“ und Kulte verständlich  – von den germanischen Fruchtbarkeitsriten zum Osterfest bis zu der römischen Sonnensymbolik an Weihnachten. Nicht anders im tibetischen Buddhismus: Er hat viele Elemente der vorbuddhistischen Kulturen Zentralasiens in seine geistige Welt aufgenommen. „Geistige Welt“ ist hier wörtlich gemeint – die Buddhisten „zähmten“ in jahrhundertelangen Kämpfen die alten Berg-, Baum- und Flußgeister, die hinfort als Beschützer der buddhistischen Religion (dharmapla) dienten. Diese Wesen waren und sind allerdings unterschiedlichen Charakters. Einige sind friedlich, andere wild und grausig, die meisten können beide Aspekte annehmen. Das Alltagsleben der Tibeter wird stark von der Furcht vor diesen Wesen geprägt, aber auch von der Hoffnung, daß noch mächtigere geistige Kräfte hilfreich – den christlichen Schutzengeln nicht unähnlich – in das Leben eingreifen mögen.

Eines dieser „geistigen Wesen“ ist Shugden oder Dolgyal, wie ihn die Tibeter nennen. Schwer bewaffnet kämpft er unerbittlich gegen die Mächte des Bösen. Aber was oder wer ist hier „böse“? Derjenige, der einer anderen Schule des tibetischen Buddhismus angehört? Shugden, so heißt es in einigen Quellentexten (denen andere Traditionen widersprechen), sei die Wiedergeburt Tulku Drakpa Gyaltsens, eines Zeitgenossen des großen 5. Dalai Lama (1617-1682). Dieser Dalai Lama konnte nach erbitterten innertibetischen Kämpfen und durch eine kluge Ausgleichspolitik gegenüber den mongolischen Khanen erstmals das riesige Territorium Tibets politisch einen und die ständigen Bürgerkriege (zeitweise) beenden. Und zwar so, daß er die geistliche und politische Macht in sich vereinte. Die Integration widersprüchlicher Interessen wurde durch die religiöse Idee der Präsenz des Buddha-Geistes der Barmherzigkeit im Dalai Lama möglich. Integration bedeutet Ausgleich und eben auch Beschneidung von Einzelinteressen: Drakpa Gyaltsen und seine Anhänger hatten in einer gewissen Rivalität zum Dalai Lama gestanden, nicht zuletzt, weil dieser Dalai Lama auch andere Schultraditionen (vor allem der Nyingmapa) pflegte und in die eigene Gelukpa-Schule integrieren wollte; ein innertibetischer Ökumeniker also, der die Engstirnigkeit des Konfessionszwists konsequent bekämpfen wollte! Dies erregte den Unwillen der Gelukpa-„Fundamentalisten“, und sie verpflichteten den „Geist“ des inzwischen wahrscheinlich ermordeten Drakpa Gyaltsen, hinfort als exklusiver Beschützer der Gelukpa dienstbar zu sein.

Hier muß man wissen: Tibetische Buddhisten leben nicht nur in Gemeinschaft (und gelegentlichem Streit) mit den Lebenden. Vielmehr wird die Welt des Geistes als endloses Kontinuum gedacht, in dem die äußere Gestalt der Wesen zwar höchst vergänglich ist, die Energieimpulse eines jeden Lebewesens aber ständig fortwirken. Nicht nur jede Tat, sondern auch jeder Gedanke hat unübersehbare Wirkungen auf nahe und ferne Existenzen. Der Geist ist unzerstörbar. Und alle Wesen, von den erbärmlichen Existenzen in den tiefsten Höllen über die Tiere und die Menschen bis hin zu den höheren geistigen Wesen, bilden eine einzige Kette von Lebensformen, die voneinander abhängen und einander beeinflussen: eine ökosphärische Gemeinschaft der gegenseitigen Verantwortung, eine Bruder- und Schwesternschaft allen Lebens, quer durch die Zeiten hinweg. Wegen dieser Verantwortung ist es nicht gleichgültig, wohin sich die persönliche wie auch die kollektive Verehrung wendet, denn sie schafft ein „Klima“, das heilsam sein oder auch Negatives bewirken kann.

Dem 5. Dalai Lama ging es im 17. Jahrhundert vor allem um die politische Einheit Tibets und um kulturelle Emanzipation im Sinne der buddhistischen Lehre, welche die Eigenverantwortung des Menschen, nicht die Abhängigkeit von schützenden Geistwesen, betont. Politische Einheit war (und ist) ohne eine kulturell-religiöse Integration der Einzelgruppen nicht zu haben. Deswegen hat auch der 13. Dalai Lama (1876-1933) zu Beginn des 20. Jahrhunderts den angesehenen Charismatiker Phabongkhapa mehrfach zurechtgewiesen, weil dieser im Namen des „Beschützer-Geistes“ Shugden gegen die anderen religiösen Schulen anpredigte, die nicht zur Gelukpa-Tradition gehören, und sogar Schriften und Kultbilder der Nyingmapa-Schule zerstört haben soll. Der Shugden-Kult hat mithin einer engen Sektenmentalität und Absolutheitsansprüchen gegenüber Andersdenkenden Vorschub geleistet.

traditionelle Statue von Dorje Shugden

Traditionelle Statue von Dorje Shugden / Dolgyal

Nicht nur das. Die Zahl der Shugden-Anhänger wuchs nach 1960 besonders im indischen Exil, wo sich angesichts der ausweglosen Lage der Tibeter der Wunsch nach einer mächtigen überirdischen Helfergestalt vertiefte. Weit entfernt davon, das Denken der Menschen auf das buddhistische Ziel, die geistige Befreiung von allen ichbezogenen Wünschen nämlich, auszurichten, wird Shugden auch, und zwar ganz offen, für materiellen Wohlstand angerufen. So verwundert es nicht, daß der Dalai Lama die Substanz und Einheit des Buddhismus gefährdet sieht. Ein Buddhismus, der seine geistige Kraft zur Befreiung vom Ego verliert, mutiert zu bloßem Schamanismus oder Geisterglauben, so der Dalai Lama. Eine höhere geistige Kraft (Shugden), die nicht die universale Barmherzigkeit und Brüderlichkeit verkörpert, sondern für die kulturelle Abgrenzung vom jeweils anderen kämpft, hat im Buddhismus keinen Platz. Hier ist Widerstand geboten – im Namen der Religion der Barmherzigkeit, der Toleranz und der Vernunft. Zwischen diesen dreien kann es, so der Buddhist, keinen Widerspruch geben.

Individuell, so der 14. Dalai Lama (geb. 1935), könne weiterhin jeder Tibeter beten, und verehren, wen er oder sie wolle, auch Shugden. Aber größere Gruppen, Klöster und vor allem die staatlichen Institutionen, die dem Dalai Lama nahe stehen, sollen ach von diesem Sektengeist fernhalten, der sich für die Sache Tibets als schädlich erwiesen habe.

In der Tat, der Dalai Lama wußte, daß er eine Kontroverse entfachen würde, zumal er früher selbst zu den Shugden-Verehrern zählte. Er hat sich nach eingehenden Studien korrigiert. Allein solche Selbstkorrektur verdient Respekt. Nun hat er eine Kommission eingesetzt, um die historischen und psychologischen Hintergründe des Shugden-Kults noch genauer zu erforchen. Erkenntnis zählt, nicht blinde Tradition. Das ist die Lehre aus dem offenen Konflikt – nicht nur für die Tibeter.

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Shugden

Religionswissenschaftlicher Beitrag zur Klärung einer Tibetischen Debatte von Michael von Brück

Im Tibetischen Buddhismus beruht Lehrautorität auf zwei Institutionen: dem Schriftenkanon und der authentischen mündlichen Überlieferung, vor allem durch den reinkarnierten Lama (sprul sku). In bezug auf den Kanon kommen dem Tulku zwei Funktionen zu: er interpretiert die kanonische Überlieferung, aber gleichzeitig setzt er auch neue Überlieferung, insofern er eigene religiöse Autorität besitzt. Die Institution des Tulku hat ihre Wurzeln im indischen Mahayana-Buddhismus, aber ihre religiösen und politischen Implikationen sind erst in Tibet entfaltet worden. Der Tulku hat spirituelle und politische Autorität aufgrund seiner Stellung (er ist ein erkennbar wiedergeborenes Wesen, das einen Grad von Bewußtseinsfreiheit erlangt hat, der über das Maß anderer Wesen hinausgeht), und diese wiederum kommt ihm zu aufgrund der Bewußtseinsformung (punya), die er über zahllose Leben hinweg erzielt hat. Der Tulku besitzt Autorität, weil in ihm die charismatische Präsenz spiritueller Kraft und die soziale Akzeptanz der religiösen und politischen Hierarchie verkörpert und miteinander verbunden sind. Jedoch liegt die Vermutung nahe, daß genau diese Verbindung auch zum Konflikt führt. Wie und unter welchen Bedingungen, möchte ich nun zeigen.

1. Das gegenwärtige Problem

Die Gottheit Dorje Shugden (rdo rje shugs ldan), bekannt auch unter dem Namen Dolgyal, wird vor allem in der Gelukpa-Schule verehrt, obwohl es auch Verbindungen zur Sakyapa-Tradition gibt, die historisch allerdings bisher kaum aufklärbar sind. Das Problem hängt mit einer Kontroverse zur Zeit des 5. Dalai Lama zusammen, wurde akut während der Regierungszeit des 13. Dalai Lama und hat in den 1970er Jahren an Schärfe zugenommen, als sich der 14. Dalai Lama vom Kult Shugdens distanzierte mit dem Argument, daß die Zuflucht zu den Drei Juwelen und nicht die Hinwendung zu niederen Gottheiten die buddhistische Identität begründe. Ein kontroverses Buch von Zemed Rinpoche (Gaden-Kloster) aus dem Jahr 1976 verteidigte den Shugden-Kult, und eine Gegenschrift von Jadral Rinpoche aus der Nyingma-Tradition, die durch Shugden-Anhänger verächtlich gemacht werde, so Jadral, verschärfte die verbale Auseinandersetzung. Im Juli 1996 trat die schwelende Kontroverse ins öffentliche Bewußtsein, weil der Dalai Lama den Shugden-Kult in seiner persönlichen Umgebung und in allen Institutionen untersagte, die mit der Tibetischen Exilregierung verbunden sind.[1] Seine Argumente lassen sich in zwei Punkten zusammenfassen:

  • Der Shugden-Kult verteidige die angeblich einzigartige »Reinheit« der Gelukpa gegenüber anderen Schulen und sei daher ein Anlaß für Spaltungen und Sektenbildung, exklusivistisch abgrenzend also gegenüber anderen Schulinterpretationen des Tibetischen Buddhismus.
  • Einzige Autorität für Buddhisten sei der Buddha und seine im Kanon tradierten Lehren, nicht aber untergeordnete Gottheiten, die später in die tibetische Geisteswelt integriert worden sind.
Geshe Kelsang Gyatso

Geshe Kelsang Gyatso, am 4. Juni 1931 in Yangcho Tang geboren

Eine Reihe von Äbten und Mönchen in Gelukpa-Klöstern widersetzten sich dieser Anordnung des höchsten Tulku in Tibet und gründeten in Juni/Juli 1996 eine »Dorje Shugden Devotees Religious and Charitable Society«. Außerdem gründete der Gelukpa-Lehrer Geshe Kelsang Gyatso in England einen neuen Orden namens »New Kadampa« (die alte, von Atisha im 11. Jh. begründete Kadampa-Schule war die Basis für Tsongkapas Reformen im 14. Jh., die zur Gründung der Gelukpa führten) und griff den Dalai Lama u.a. wegen der Shugden-Frage öffentlich an. 15 Äbte und Lehrer (Geshes) von Geshe Kelsangs ursprünglichem Kloster, Sera Je Dratsang, schrieben einen offenen Brief gegen Kelsang[2], stießen ihn aus der Gemeinschaft des Klosters aus, nannten ihn einen »Apostaten«[3] und verglichen ihn mit Mohammed von Gazni[4]. Elf Mönche des Gaden-Klosters, die trotz Demonstrationsverbotes anläßlich eines Besuchs eines hohen Repräsentanten des Dalai Lama (Samdhong Rinpoche) gegen die vermeintliche Beschneidung der Religionsfreiheit demonstrierten, wurden des Klosters verwiesen. Die Kontroverse gipfelte in dem Mord an Abt Geshe Losang Gyatso, dem Direktor der Buddhist School of Dialectic, und zweier seiner Schüler am 4. Februar 1997 – Losang Gyatso hatte sich als scharfer Kritiker des Shugden-Kults hervorgetan.[5]

Religionsgeschichtlich betrachtet ist die Dynamik und Zuspitzung der Kontroverse nicht sonderlich überraschend: Im Tibetischen Buddhismus ist es immer wieder zu Differenzen verschiedener Schulen gekommen, die sich auch im Antagonismus der entsprechenden Schutzgottheiten (dharmapalas) spiegelten. Die heutige Problemlage ist allerdings gekennzeichnet durch die Gefahr für die religiös-soziale Identität in der Exilsituation.

2. Zwei Aspekte der Traditionsbildung: Tulkus und Schutzgottheiten

2.1 Tulku

Der Tulku ist die physische Manifestation eines höheren Bewußtseins, im Ausnahmefall eines Buddhabewußtseins (buddhatva) selbst. Es gibt zahllose Tulkus, die sich aber im Grad ihrer spirituellen Reife unterscheiden. Tulkus gelten als wiedergeboren nicht wegen karmischer Notwendigkeit, sondern aufgrund ihrer spirituellen Freiheit, die Bodhisattva-Gelübde zu erfüllen. Das bedeutet: Tulkus verkörpern sich, nicht um ihre karmischen Befleckungen auszugleichen, sondern um anderen Lebewesen beizustehen, d.h. ihre Wiederverkörperung steht in Kontinuität mit ihrer dharmischen Lebensführung in vorigen Leben.

Die Tulku-Tradition in Tibet hat zwei Wurzeln: die Entwicklung des Bodhisattva-Ideals im indischen Mahayana-Buddhismus und politische Entwicklungen in Tibet im Zusammenhang mit den Verbindungen Tibets zu den Mongolen. Diese Wurzeln müssen bedacht werden, wenn man die Funktion und Autoritätsbildung des Tulku im tibetischen System analysieren will:

a) trikaya-Lehre

Das Tulku-Konzept ergibt sich aus der trikaya-Lehre des indischen Buddhismus, denn sprul sku ist die Übersetzung des Sanskritbegriffs nirmanakaya, Ansätze zur trikaya-Lehre lassen sich bereits vor der Entstehung des Mahayana nachweisen (Klimkeit: 202), aber voll entwickelt zeigt sich das Konzept erst in der Yogacara-Schule, besonders bei Asanga, also im 4. Jahrhundert n.Chr. Eine Reihe von Mahayana-Texten aus dem 2. – 4. Jahrhundert n.Chr. (Saddharmapundarika-Sutra, Dashabhumika-Sutra, die Bodhisattvabhumi Asangas) lehren, daß sich Bodhisattvas auf sehr verschiedene Weise manifestieren können, um Lebewesen nützlich zu sein. Ich möchte aber behaupten, daß das trikaya-Konzept bereits in einer viel älteren Unterscheidung angelegt ist, nämlich in der Differenzierung der Wirklichkeit in materielle, subtile und mentale Phänomene. Die Unterscheidung dieser drei Körperebenen war bereits für die frühbuddhistische Meditation (Potthapada-Sutta, Digha Nikaya 9; Samannaphala-Sutta, DN 2) wichtig, und sie entspricht der Einteilung der Welt in drei Sphären; kamaloka (Bereich der Begierde), rupaloka (Bereich der subtilen Formen) und arupaloka (formloser Bereich). In den drei durch Subtilität unterschiedenen Erfahrungsbereichen wird die Wahrnehmung subtiler, und beide Suttas behandeln indirekt das Problem, ob die subtilste dieser Ebenen eine Art »Selbst« generiert. Antwort: die materiale Entität eines »Selbst« (zusammengesetzt aus den vier Elementen) wird unterschieden von der subtilen Entität, die aus mentalen Ereignissen besteht und eine Entität bildet, die keinerlei Form hat. Jede dieser Manifestationsebenen steht in Korrelation zu einer Ordnung bestimmter Wahrnehmungen und Bewußtseinsereignisse. Welche Wahrnehmung stattfindet, hängt an der Art der Identifikation des betreffenden Bewußtseins.

Das bedeutet: Jedes mögliche »Selbst« dieser Art ist relativ und impermanent. Damit ist der buddhistischen Grundeinsicht von anatta Genüge getan. Das Samannaphala-Sutta erläutert nun, wie sich ein spiritueller Körper aus einem materiellen erheben und unabhängig wirken kann. Direkt anschließend an dieser Erörterungen läßt das Sutta den Buddha erklären, daß er weder gelehrt habe, daß die Welt ewig noch daß sie nicht ewig sei, weder begrenzt noch unbegrenzt, weder daß der Körper identisch mit dem Bewußtsein sei noch nicht identisch. Denn solche Fragen und mögliche Antworten auf die Fragen würden nicht nur Beendigung der Gedankenbewegungen führen und damit nicht zum Erwachen bzw. zum nirvana. Das bedeutet, daß auch die Lehren von trikaya, den Tulkus usw. im Sinne Nagarjunas als prapanca, als mentale Konstruktion, relative Wahrheit und Eigenbewegung des Bewußtseins zu interpretieren sind.

Und genau das ist der philosophische Kernpunkt in der gegenwärtigen Debatte um Shugden. Was ist die letztgültige Autorität Shugdens, oder anders ausgedrückt: Welche Autorität kann Autorität beurteilen? Oder nochmals auf die philosophische Grundlage hin gedeutet: Die Autorität wie auch die Kritik der Autorität (eines Tulku, einer Gottheit, einer Kultpraxis oder was immer) basiert auf einer impermanenten Bewußtseinskonstruktion, sie ist ontologisch ohne Basis, Dennoch kann die Kritik von Tradition nur auf der Grundlage des historischen Ursprungs der Tradition, vom Anfang her also, begründet werden. Warum? Weil »am Anfang« die »kumulative Tradition« (WC. Smith) noch am wenigsten weiter konstruiert worden ist und weil der Buddha selbst jede Konstruktion kritisiert, wodurch allein die Freiheit vom Anhaften am Denken, also die Voraussetzung für das nirvana, möglich wird.

Aber ich möchte noch eine historische Bemerkung zur trikaya-Lehre machen. Sie reflektiert offenkundig einen Kult des Buddha (des historischen Buddha Shkyamuni wie auch seiner Vorgänger und des kommenden Buddha Maitreya), der bereits vorher schon existiert hatte. Wir können hier nicht in Details gehen, aber ich möchte darauf aufmerksam machen, daß nicht nur Laien, sondern auch Mönche mit dem Stupa-Kult verbunden waren, d.h. mit einem Kult, der auf einer bestimmten Art der physischen Gegenwart des Buddha beruhte. Das kann aus epigraphischer Evidenz bewiesen werden.[6] Der rupakaya des Buddha wurde im frühen Buddhismus viel früher verehrt als meist angenommen. Die Lehre von trikaya hatte somit die Funktion, den Kult der verschiedenen rupakayas der Buddhas mit dem nicht dualistischen Konzept eines erwachten Bewußtsein zu verbinden. Gleichzeitig erläutert die trikaya-Lehre, wie der historische Buddha die Verkörperung des ewig unwandelbaren dharma sein kann. Deshalb vermittelt die trikaya-Lehre zwischen der historischen und der transzendenten Dimension.

Im tibetischen Buddhismus ist es der Tulku, der die Gegenwart des Buddha in seinem rupakaya inmitten der monastischen Gesellschaft repräsentiert. Daher ist die Gegenwart und Autorität des Tulku die vervollständigte triratna-Repräsentation, komplementiert im dharma (der das Objekt des Studiums und der Realisierung der Mönche ist) und der monastischen Gemeinschaft (samgha).

Funktion der trikaya-Lehre ist es also nicht, die Wirklichkeit in einer substanzialistischen Ontotogie zu strukturieren, sondern das menschliche Bewußtsein darauf zu lenken, sich selbst zu transzendieren oder zu einem graduellen Erwachen zur Soheit (tathata) der Wirklichkeit zu führen. Der dharmakaya repräsentiert die vollständige Jenseitigkeit der Wirklichkeit, d.h. dharmakaya ist nicht eine Substanz, sondern Leerheit (shunyata), die alles durchdringt und alle Konzeptualisierungen auflöst; sambhogakaya und nirmanakaya hingegen repräsentieren die Strukturen eines erfahrenden Bewußtseins.[7]

Trikaya repräsentiert also Strukturen des sich stetig wandelnden Bewußtseins, d.h. daß hier eine spezifische Entwicklungsform des Bewußtseins konzeptualisiert wird: Bewußtheit manifestiert sich im grobstofflichen nirmanakaya, wird aufgelöst und transformiert in einer sambhogakaya-Bewußtheit, die subtiler ist sowie intuitive und raumzeitliche Dimensionen vereint, und dies wird aufgelöst in der dharmakaya-Bewußtheit, die alle einander trennenden Impulse auflöst, damit die Einheit der vereinten Bewußtheit der Buddhaschaft manifestiert werden kann. Während shunyata das Ganze durchdringt und das Ganze shunyata ist, beschreibt trikaya Ebenen der Manifestationen und des Bewußtseins. Aber all die Manifestationen sind leer (von svabhava – Selbstnatur), und deshalb können sie einander durchdringen. Sie entstehen als gegenseitige Durchdringungen in gegenseitiger Abhängigkeit, und das ist genau das, was shunyata bedeutet.[8]

Wie der frühe Buddhismus, so hat auch das Mahayana seine Authentizität von den Lehren des Buddha abgeleitet, aber auf andere Weise. Anders als die Lehrreden des Pali-Kanons ist Mahayana nicht vom nirmanakaya-Buddha, sondern vom sambhogakaya-Buddha gelehrt worden. Aus diesem Grunde können und brauchen die Mahayana-Sutras nicht vom historischen Buddha autorisiert zu sein. Mahayana nimmt deshalb an, daß es auf einer höheren Ordnung von Wahrheit beruht. Daraus folgt nun, daß der Tulku als Repräsentation des nirmanakaya nicht durch sich selbst die höchste Authentizität der Überlieferung repräsentiert. Vielmehr ist es seine sambhogakaya-Bewußtheit, die den gleichen „kanonischen Status“ und dieselbe Autorität hat wie die Mahayana-Sutras. Er muß vollen Zugang zur intuitiven Bewußtheit haben, die der Ebene von Erscheinungen jener sambhogakayas entspricht, um spirituelle Autorität zu besitzen.

Und dieses Problem ist eine der Hauptfragen in der gegenwärtigen Kontroverse: Wer kann und darf die Wirklichkeit der subtilen Erscheinungen solcher höherer (oder niederer) Schutzgottheiten wie Shugden beurteilen? Denn gewöhnliche Wesen können nur auf der nirmankaya-Ebene wahrnehmen und urteilen, wohingegen höhere Lamas (höhere Tulkus) Zugang zu höheren (subtileren) Ebenen des Bewußtsein haben können. Die Authentizität eines Tulku kann deshalb nur durch einen Tulku auf derselben oder auf einer höheren Bewußtseinsebene beurteilt werden.

Das Tulku-Konzept interpretiert das frühere Bodhisattva-ldeal in Begriffen der tantrischen Siddha-Tradition auf neue Weise: Der Tulku kann größere spirituelle und magische Kräfte haben, er kann in verschiedenen Formen seines Körpers erscheinen, er vermag durch Bilokationen und andere parapsychische Phänomene seinen besonderen Status zu erweisen. Diese Eigenschaften können ihm zukommen, sind aber nicht notwendig mit jedem Tulku verbunden. Wie bereits bemerkt, muß der Tulku als Reinkarnation unterschieden werden von der allgemeinen karmischen Verursachungskette, die dazu führt, daß gewöhnliche Wesen unvermeidlich, entsprechend den karmischen Strukturen ihres Bewußtseins, wiedergeboren werden. Man unterscheidet höhere Tulkus (z.B. der Karmapa, der Dalai Lama, der Panchen Lama usw.), die die Freiheit haben, die Umstände ihrer Wiedergeburt zu wählen, von niederen Tulkus, die über geringere spirituelle Kräfte verfügen und deshalb nicht ein so großes Maß an Freiheit von karmischen Bindungen haben (das bedeutet, daß Tulkus klassifiziert werden entsprechend ihrer Realisierung auf den traditionellen Bodhisattvabhumis).[9] In beiden Fällen sorgen die Konditionierungen der Wiedergeburt dafür, daß hinreichende Stabilität entsteht, so daß Tulkus in eine vorhersagbare räumliche und soziale Situation, wie z.B. in ein bestimmtes Kloster, zurückkehren. Tulku-Linien haben einen Anfang und bilden, wenn sie einmal begonnen haben, stets neue personale Gestalten der „kumulativen Tradition“ heraus.

Tulkus haben einen höheren Status als gewöhnliche Lamas, aber sie haben im wesentlichen die gleichen Funktionen, obwohl sie aufgrund ihrer Reputation mehr materielle Unterstützung von den Laien erhalten und größeres Ansehen genießen. Tulkus sind dafür bestimmt, hohe Lamas zu werden, denn sie haben einen günstigeren Ausgangspunkt als andere Wesen wegen ihrer karmischen Vergangenheit. Dieser Glaube drückt sich z.B. darin aus, daß Tulkus Klassen in ihren monastischen Colleges überspringen können. Tulkus, so heißt es, manifestieren sich, wo sie am wirkungsvollsten ihre Bodhisattva-Gelübde zum Wohle aller Lebewesen verwirklichen können. Ihre Manifestationen haben immer einen spezifischen Zweck, Deshalb wird im Tulku-Ideal die Qualität des Erleuchtungsbewußtseins (bodhicitta), d.h. ihre karuna aktualisiert und historisch definiert. Dies ist als solches eine interessante Entwicklung in der buddhistischen Geschichtsphilosophie. Aber wir müssen uns hier auf die Präsentation des Tulku-Problems in Tibet beschränken.

b) historisch-politische Wurzeln

In Tibet hat das System von Tulku-Linien frühe Wurzeln in Sakya-Kreisen des 12. Jh. (obwohl die Sakya-Linien im allgemeinen einer dynastischen Sukzession folgten). Die erste voll entwickelte Tulku-Linie anerkannter (und überprüfter) Reinkarnationen begann aber erst im Kloster Tsurphu der Karmapa-Schule am Ende des 12. Jh. nach dem Tode von Dusum Khyenpa (dus gsum mkhyen pa, 1110-1193).[10] Der zweite Karmapa, Karma Pakshi (1206-1283) wird demgemäß als der erste Tulku in vollem Sinne betrachtet, und man schätzt, daß vor der chinesischen Invasion in Tibet etwa 10 000 Tulkus lebten. (Ray: 35) Auf der Basis der obigen allgemeinen Bemerkungen können wir nun festhalten: Ein Tulku ist ein Bodhisattva, der

  • reinkarniert ist,
  • entdeckt und rituell kanonisiert wird und
  • wiederum in die Position religiös-politischer Macht seines Vorgängers hineingeboren wird.

Er kann, muß aber nicht eine charismatische Figur sein. Politisch gesehen gab das Tulku-System der monastischen Sukzession größere Stabilität als dynastische Modelle, da die Sakyapa, später die Karmapa und noch später die Gelukpa-Klöster mittels wechselnder politischer und militärischer Allianzen (Einfluß der Mongolen) erhebliche ökonomische und politische Macht gewinnen konnten. Deshalb repräsentieren die Tulku-Linien von Anfang an nicht nur spirituelle Authentizität, sondern auch politische Macht und Stabilität in je lokal geprägten Zentren.[11] Das dezentralisierte System von monastischen Linien und regionalen Zentren der spirituellen und politischen Macht geriet aber später in Konflikt mit der zunehmenden Zentralisierung des Staates, die in der Machtübernahme durch die Gelukpas im 16. Jh. gipfelte. Und genau an diesem Punkt muß die Shugden-Problematik politisch angesiedelt werden, denn die „Gottheit“ Shugden kommt zu einer Zeit des Konfliktes auf, als sich regionale Kräfte gegen die Zentralisierung der Macht durch den 5. Dalai Lama wehrten.

2.2 Gottheiten (lha)

Der tibetische Buddhismus kennt zahlreiche Wesen oberhalb der Ebene von Lebewesen mit einem grobstofflichen physischen Körper. Sie werden in unterschiedlichen Klassen, abhängig von ihrer spirituellen Qualität, systematisiert. Einige sind devas, einige sind Manifestationen von umherirrenden menschlichen Geistern, einige gehören dem Reich der pretas an usw.[12] Einige von ihnen, die auf der höchsten Ebene existieren, sind Emanationen (sprul pa) von höchsten Aspekten des Buddha: Mahakala (Nagpo chenpo, in 75 Formen), Yama (gShin rje), Shri Devi (dPaldan lhamo), Vaishravana (rNam thos sras) usw. Einige sind Gottheiten (lha), die universal erscheinen und eine universale Bedeutung haben, wie z.B, höhere dharmapalas (tib. chos skyong oder srung ma), und wieder andere sind lokale Geister. Die höchsten Wesen stehen jenseits jeder Konzeptualisierung und haben die Funktionen persönlicher Schutzgottheiten (yidam), andere hingegen sind ambivalent in ihrer Natur. Diese ambivalenten Wesen haben einen zweifachen Hintergrund;

  • Einige sind vorbuddhistische und potentiell gefährliche Geister, die in Bergen, Bäumen, Gewässern und den weiten Ebenen hausen. Sie sind gezähmt und gebunden worden durch Gelübde. Sie sind bekannt als die niederen dharmapalas.
  • Andere hingegen sind mentale Kräfte, die mehr oder weniger „personifiziert“ worden sind, so daß sie in angemessener Weise kontrollierbar werden.

Daher muß man betonen, daß Schutzgottheiten oder dharma-Beschützer von sehr unterschiedlicher Natur sein können und verschiedenen Klassen zugehören. Im Extremfall können sie (jeweils am Ende des Spektrums) Buddhas oder niedere Wesen sein. Oft werden dharmapalas in zwei unterschiedliche Gruppen eingeteilt:

  • solche, die jenseits des samsara frei sind, und
  • jene innerhalb des samasra.

Letztere Gruppe umfaßt Wesen mit unterschiedlichem Status in Bezug auf ihre Seinsebene. Im allgemeinen gilt Pehar als Anführer dieser Gruppe. Um mit der menschlichen Ebene in Kontakt zu gelangen, benutzen diese Wesen menschliche Media, die in Trancen gehen. Shugden ist eines dieser Wesen.
Jedoch gibt es keine ein für allemal und allgemein akzeptierte Klassifikation, und selbst innerhalb einer Schule und Tradition gibt es beträchtliche Unterschiede und Widersprüche in der Interpretation und Klassifikation der entsprechenden Gestalten.[13]

Im Kontext dieser Analyse ist es nun außerordentlich wichtig, den Unterschied zwischen yidam und dharmapala (Beschützer) zu verstehen, denn die beiden miteinander zu verwechseln, bedeutet eine Konfusion der Kategorien, deren Konsequenzen sich auch in der gegenwärtigen Kontroverse um Shugden zeigen.

  • Yidams sind immer jenseitig, denn sie sind Emanationen des Buddha. Die Praxis dieser yidams besteht in Identifikation mit der Gottheit, die möglich wird durch vollständige Hingabe oder die Lebensübergabe von Körper, Rede und Geist. Die Praxis zielt auf vollständige Einheit mit der Gottheit. Hayagriva (rta mgrin), Yamantaka (gshin rje gshed), Kalacakra usw. werden als solche yidams (skt. ishtadevata) angesehen, obwohl Hayagriva ein seltener Fall ist, bei dem die Konzepte von yidam und dharmapala zusammenfallen.
  • Dharmapala hingegen sind in den meisten Fällen nicht jenseitig, sondern sie unterliegen dem samsara. Nur einige von ihnen können als jenseitig betrachtet werden.[14] Dharamapalas sind nur Helfer auf dem Weg der Praxis von triratna, und sie bleiben dem Praktizierenden äußerlich. Die spirituelle Praxis ist niemals die Einung mit diesen Wesen, denn sie können die Zuflucht zu triratna nicht ersetzen. Wir müssen hinzufügen, daß einige dieser Gottheiten indischen Ursprungs sind (wie z.B. Mahakala, Shri Devi usw.), und diese haben in Tibet eine Anzahl verschiedener Gestalten angenommen. Andere aber sind tibetischen Ursprungs (wie z.B. Pehar), die Padmasambhava durch Gelübde gebunden und „gezähmt“ hat.

Dieses Gelübde (samaya, tib. dam tshig), durch welches die Geistwesen gebunden sind, ist von größter Bedeutung. Jene dam-tshig-Wesen sind sozusagen eine eigenständige Seinsklasse. Sie sind gefährlich, aber durch den Buddha-Dharma, der in den Händen der monastischen Hierarchie liegt, gezähmt. Nur unter diesem Gelübde können sie als dharma-Beschützer erscheinen. Die Art des Gelübdes jedoch ist von den drei Gelübden, die Menschen nehmen können, um ihren spirituellen Fortschritt zu gewährleisten, ganz verschieden. Diese drei Gelübde der Menschen sind:

  • vinaya-Gelübde,
  • bodhisattva-Gelübde und
  • tantrisches Gelübde.

Das tantrische Gelübde wird von einem selbst initiierten Lama gegeben und ist gewöhnlich mit Initiationen und Kraftübertragungen (abhiseka, tib. dbang) in die Praxis einer höheren Gottheit verbunden. Das tantrische Gelübde bedeutet, daß der Schüler sein (oder ihr) Gesamtleben (Körper, Rede und Geist) an die spirituelle Kraft übergibt, die als Gottheit visualisiert und durch den Lama repräsentiert wird. Da tantrische Praxis damit zu tun hat, das gesamte Leben und jedweden Aspekt der physischen, subtilen und spirituellen Welt als „heilig“ oder Teil des Buddhabereichs zu betrachten, ist hier das Gelübde auf das gesamte Leben bezogen.[15] Das tantrische Gelübde bindet Lehrer und Schüler in einer exklusiven Verbindung von totalem Gehorsam auf der Seite des Schülers eng zusammen. Dies wird noch deutlicher in der Beziehung eines Schülers zu seinem „Wurzellama“ (rtsa ba'i bla ma), der – als einziger Lehrer – alle drei Aspekte der Tradition in einem übermittelt:

  • die orale Überlieferung von Texten,
  • die Kommentare zu den Texten,
  • die Ermächtigung zur Praxis einer spezifischen Gottheit.

Solch eine Beziehung zum Wurzellama schafft eine spezielle karmische Situation und ist absolut verbindlich. Die Tradition eines Wurzellamas zu verändern oder zu korrigieren, ist nicht möglich, es sei denn, die Beziehung ist zuvor aufgelöst und das Gelübde formal zurückgegeben worden. Einer, der das Gelübde bricht (dam nyams), begeht eine solch negative Tat, daß er oder sie mit Sicherheit für viele Lebenszeiten in der Hölle wiedergeboren würde.

Angesichts dieser verschiedenen Ebenen und Wesen können sich Loyalitätskonflikte ergeben. Während einige der höchsten Gottheiten wie Mahakala, Tara, Avalokiteshvara, Yamantaka, Pehar usw. allen Schulen des tibetischen Buddhismus gemeinsam sind, haben die Schulen gleichzeitig Präferenzen für ihre je eigenen Manifestationen von höchsten Wesen. Aber diese Differenzen müssen nicht exklusivistisch sein: die Nyingma-Schule assoziiert sich besonders mit dem (roten) Manjushri, die Sakya-Schule mit Hevajra, die Kagyü-Schule mit Cakrasamvara, die Geluk-Schule mit Vajrabhairava. Eine größere Zahl von Beschützern wird jedoch als Beschützer besonderer Schulen, Gruppen, Regionen oder Individuen in Anspruch genommen, und die gegenwärtige Kontroverse ist nichts anderes als der Disput, ob Shugden als allgemein gültiger höherer oder abgrenzend niederer Beschützer zu gelten habe. Die Qualität jener höchsten Wesen ist in der Tradition unumstritten. Sie sind „kanonisch“. Aber die Authentizität dieser speziellen Beschützer kann umstritten sein, denn jene niederen Wesen können eifersüchtig und einer Person gefährlich werden, wenn man die Hilfe eines anderen Beschützers in Anspruch nehmen würde. Außer dem Glauben an die höchsten Wesen hat jede Linie von Tulkus auch ihre besonderen Beschützer, und wenn die Tulkus miteinander in Konflikt geraten, dann auch ihre Beschützer. Außerdem sind noch einige lha mit Familientraditionen und dem Kult von Vorfahren verbunden. (Nebesky-Wojkowitz: 6). Abhängig von ihrem Ursprung sind die meisten von ihnen zornvoll und selbst solche, die gezähmt worden und friedfertig sind, gelten dennoch als relativ instabil und können jederzeit auch wieder zornvoll in Erscheinung treten.

Es ist nicht leicht, diese höheren Gottheiten im Kontext des trikaya-Schemas zu klassifizieren. Weil der dharmakaya (chos sku) jenseits von Form ist und der nirmanakaya (sprul sku) eine grobstoffliche Form darstellt, können sie nur dem sambhogakaya (longs sku) zugerechnet werden. Dabei wird deutlich, daß die Verbindung von Tulku-Linien mit besonderen dharma-Beschützern ein hierarchisches Universum geschaffen hat, in dem die temporale Transmission des dharma und die transtemporale Sukzession von höheren Mächten miteinander verwoben sind.

Wir müssen zunächst zwei Gottheiten genauer charakterisieren, um die Natur von Shugden zu verstehen: Palden Lhamo (dpal ldan lhamo) und Nechung Dorje Dregden (gnas chung rdo rje dregs ldan).

Palden Lhamo ist mit den Dalai Lamas verbunden und wird als ihr wesentlicher Beschützer angesehen. Diese Verbindung geht zurück auf den 5. Dalai Lama (1617-1682), der bei seinem Tod gesagt haben soll, daß er wie auch die vorherigen Dalai Lamas – als Hauptdharma-Beschützer Palden Lhamo erwählt habe.[16] Die Geschichten, die hier erzählt werden (Ladrang: 28-30), zeigen, daß und wie die Gottheiten miteinander um Macht und Ruhm kämpfen: Sie übertreffen einander in Wundern und reflektieren die Machtkämpfe zwischen verschiedenen Sekten, Schulen und Tulku-Linien auf der irdischen Ebene. Palden Lhamo jedoch ist „ökumenisch“ im Geist und hat keine spezifischen exklusiven Verbindungen mit einer bestimmten Schule, denn sie wird sowohl mit Nyingmapa- als auch mit Gelukpa-Linien z.Zt. des 1. Dalai Lama verbunden (Ladrang: 30-31). Palden Lhamo war eine Dämonin, bevor sie mittels des Eides gebunden und durch Meditation gereinigt sowie in den Dienst des dharma gestellt wurde. Es wird berichtet, daß sie ihre gesamte Lebenskraft (Körper, Rede und Geist) an den triratna überantwortet habe, und das wird von Menschen, die sich unter ihren Schutz stellen, in gleicher Weise erwartet.

Der Große Fünfte Dalai Lama, Ngawang Lobsang Gyatso

5. Dalai Lama, Ngawang Lobsang Gyatso (1617-1682)

Nechung hingegen ist eine Emanation der Rede von Pehar Gyalpo (dpe har rgyal po), die auf die Zeit König Trisong Detsens (khri srong lde brtsan, 742-797) zurückgehen soll und deshalb als besonderer Beschützer der Gaden Phodrang Tibetischen Regierung betrachtet wird (Ladrang: 77-84). Diese Linie von den Gelukpas zurück zur Nyingmapa-Schule beweist wiederum den ökumenischen Geist. Der Tradition gemäß war Pehar der tibetische Staatsschatz bereits im 8 Jh. anvertraut worden. Verschiedene orale Traditionen behaupten, daß Pehar von Zentralasien (Khotan) nach Samye in Tibet eingeführt worden sei, und Padmasambhava wird mit dieser Legende in Verbindung gebracht. Der 5. Dalai Lama hat Pehar Nechung mit großem Glauben und Hoffhung angerufen. Obwohl diese Gottheit nach außen hin gewaltsam handeln kann, ist Pehars interne Natur nichts als wohlwollende Weisheit (ye shes). Nechung, der den Dalai Lamas nahe steht, kann von anderen Geistern beeinträchtigt werden und gewalttätige Gegenwirkungen entwickeln, wenn die Störungen durch andere Geister nicht ausgeschaltet werden. Dies war ein Problem, mit dem sich bereits der 13. Dalai Lama in seiner Kontroverse mit Phabonglchapa zu beschäftigen hatte, wie wir später erläutern werden.

3. Der Charakter Shugdens

Dorje Shugden (rdo rje shugs ldan) kann als lha („Gottheit“, skt. deva) betrachtet werden, der zu den niederen Bereichen gehört, wie man an aus seinem historischen Ursprung erschließen kann. Diese Schlußfolgerung ist jedoch umstritten, weil die Prämisse, d.h. der historische Ursprung, nicht eindeutig ist.

Offensichtlich ist Shugden mit Gelukpa-Klöstern verbunden gewesen. Erst allmählich wurde er zu einem der Hauptbeschützer der Gelukpa-Schule. Aber, wie schon erwähnt, gibt es auch eine Beziehung zu den Sakyas. Shugden, so heißt es, kommt aus allen Richtungen (und Klöstern!), um diejenigen zu beschützen, die ihn kultisch verehren, um ihre Wünsche zu erfüllen, den dharma zu reinigen usw. (Nebesky-Wojkowitz: 141) Sein Charakter ist gewalttätig und machtvoll, wenn er seine Gegner vernichtet. Ihm werden symbolisch Tieropfer dargebracht. Sein Wohnsitz ist voller Skelette und menschlicher Schädel, Waffen umgeben ihn und Menschen- wie auch Pferdeblut bilden einen See in seiner Nähe (Nebesky-Wojkowitz: 136-137). Sein Körper hat eine dunkelrote Farbe, und der Gesichtsausdruck ähnelt dem der bekannten Darstellungen von indischen Dämonen (rakshasas). Jedoch sind all diese Attribute keineswegs einzigartig sondern mehr oder weniger stereotype Eigenheiten von dharma Beschützern überhaupt. Unterschiedliche Traditionen bilden verschiedene Formen und Farben dieser Gottheit heraus: im Gonkhang (mgon khang) der Geluk-Klöster, wie z.B. Gaden, wird Shugden in seiner roten Form verehrt, während er als dharmapala des Sakya-Klosters auf einem schwarzen Pferd reitet. Wie und wann sich diese unterschiedlichen ikonographischen Details entwickelt haben, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.

Shugden ist offensichtlich vor allem im südlichen Himalaya zu Popularität gelangt. S.R. Mumford (1990) hat einen lokalen Text aus Nepal (rdo rje shugs ldan mchod thabs gsol kha) veröffentlicht, der Anweisungen enthält, wie Shugden auf der Basis seines Sakya-Hintergrundes verehrt werde solle. Wie im Falle anderer Gottheiten auch, besteht der Kult aus zwei Aspekten:

  • die Gottheit in Verbindung mit sich selbst hervorbringen (bdag bskyed) und
  • die Gottheit objektiviert als ein Objekt für den Betenden betrachten (mdun bskyed).

Shugden wird in diesem Text angerufen, um „das Prestige des Buddha, des dharma und des samgha“ zu beschützen und „die Hindernisse, die im Wege stehen, um einen Bodhisattva-Geist zu entwickeln“ auszulöschen (Mumford: 262). Insoweit bezeugt diese Beschreibung die noblen Intentionen der Gottheit und bezieht sich auf die Zuflucht zu den Drei Juwelen. Gleichzeitig ist Shugden verbunden mit „menschlichem Reichtum, Nahrung, Leben und Glück“, und man bittet ihn um langes Leben und die Erfüllung aller Wünsche besonders in diesem Leben und ruft ihn an gegen körperliche und mentale Krankheiten (Mumford: 262-263). Auch diese Gebetsanliegen weichen in keiner Weise von den Anrufungen anderer Schutzgottheiten ab. Shugden wird angeredet als „großer König“, „dharma-Beschützer“, „wunscherfiillender Edelstein“, der „den dharma beschützt und seine Zerstörung verhindert“, und er wird gebeten, „externe und interne Feinde aus den zehn Gegenden zurückzudrängen“. Außerdem wird er erinnert an sein „Gelübde der Initiation, die ihm von Khro-ba rGyal-po“, der ein Sakya-Lama war, erteilt worden war. Dieser Text beweist also, daß es eine Tradition von Shugden unter den Sakyas gab, und zwar selbst in einem so entfernten Tshap-Dorf von Nepal. Der Text fährt fort (Mumford: 263-264):

The enemy harmers and those who conspire against us, whose oaths of allegiance have deteriorated, you the powerful one, repel them in the name of religion, without delaying a single month in the year, and put them under my control. Fulfil whatever I wish as my friend, spreading the dharma without deterioration … From the midst of a boiling ocean of blood, may the great king take ferocious form, repellmg all enemies and harmers. Destroy the enemies completely. Kill them immediately. Send the butcher killers and blood drinkers to the land of the enemy and kill them right off. Reduce them to dust! Fulfil my requests. Whatever you speak, like the roar of a thousand dragons, may the hearing of it destroy all the enemy harmers of the ten regions. Even if their life force is made of diamonds, may they be reduced to dust. Protect the dharma in general, and in particular the Sakyapas, I praise you, who have agreed to be the Srungma of the Sakyapas.

Es ist hier nicht mein Interesse zu untersuchen, ob solch ein Text bzw. die psychologische Haltung, die sich in ihm zeigt, dem dharma des Buddha widerspricht oder nicht. Aber ich will darauf hinweisen, daß der Text nicht notwendigerweise Shugden als Spaltgeist erscheinen läßt der sich gegen andere Gruppen oder Schulrichtungen wenden soll, denn es bleibt offen, wer die Gegner sind. So muß es sich hier nicht um einen Kult handeln, der Spaltungen im tibetischen Buddhismus verursacht, aber dies könnte der Fall sein.

Wie Pehar, Nechung und andere Gottheiten nimmt Shugden Besitz von Medien, die als seine physische Stütze (sku rten) dienen. Ein berühmter Kuten von Shugden lebt im Gaden-Kloster der Gelukpa-Schule, der von monastischen Autoritäten anerkannt ist und regelmäßig überprüft wird. Ich muß nicht in Details gehen, denn ich habe die Geschichte und Erfahrung dieses Kuten andernorts publiziert (von Brück 1996). Es genügt zu sagen, daß sich meines Wissens, jedenfalls in Zusammenhang mit diesem Kuten, keine spalterischen Tendenzen gezeigt haben.

Die spätere Tradition[17] hat fünf unterschiedliche Arten oder „Familien“ (skt. kula) von Shugden unterschieden, die für Körper, Rede und Bewußtsein sowie die jeweilige dominierende Eigenschaft (guna, tib, yon ten) und Aktivität stehen:

Bewußtsein

Dulzin Choekyi Gyalpo

friedvoll

Körper

Shize Dripa Kunsel

friedvoll

Rede

Nococ Zilnon

zornvoll

dominierende Qualität

Kamsum Pelba

 

Aktivität

Tum Dze

 

4. Die Geschichte Shugdens

4.1 Der 5. Dalai Lama

Um das Wesen und die Natur Shugdens näher zu bestimmen, muß die Geschichte dieser Gottheit soweit wie möglich aufgeklärt werden. Jedoch gibt es leider wenig dokumentierte Evidenz vor Beginn dieses Jahrhunderts, obwohl einige ältere orale Traditionen berücksichtigt werden müssen, die jedoch in entscheidenden Punkten einander widersprechen.[18]

Die Anfänge der Geschichte Shugdens[19] fallen in die Regierungsperiode des 5. Dalai Lama, Ngawang Losang Gyatso (1617-1682). Es war eine Zeit der Machtkämpfe in Tibet. Die herrschende Phag-mo-gru Dynastie hatte die Gelukpas unterstützt, aber ihre Macht nahm dramatisch ab (Schulemann: 231-232). Ein Gegenkönig in Tsang, Phuntsog Namgyal (gtsang-pa) wurde von den Karmapas unterstützt, die erbitterte Rivalen der Gelukpa waren: Phuntsog Namgyal verfolgte die Gelukpas in Tsang, weswegen das bedeutende Tashilhünpo-Kloster in Shigatse fast völlig leer stand. Phuntsog besiegte den letzten Phag-mo-gru Herrscher in der Nähe von Lhasa 1635, und die Gelukpa-Mönche von Drepung und Sera wurden vertrieben. Während der Kämpfe wurde auch die Mutter des Dalai Lama getötet, während der Dalai Lama und der Panchen Lama im Gaden-Kloster Zuflucht fanden. Politisch waren die Gelukpas damit zunächst am Ende. Erst nach den Siegen des Mongolen Gushri Khan 1636 in der Kokonor-Gegend und 1640 in Zentraltibet verbesserte sich die Situation für die Gelukpas. Weil Phuntsog Namgyal für das nationalistisch-tibetische Element gegen die Mongolen gestanden hatte, unterstützte Gushri Khan die Gelukpas, die sich für eine Allianz mit den Mongolen ausgesprochen hatten. 1641/42 kämpften die Mongolen gegen Phuntsog Namgyal, töteten ihn und wurden die Herrscher über Pö (dbus) und Tsang (gtsang), d.h. über ganz Zentraltibet. Diese Ereignisse markieren den Beginn der Gelukpa-Herrschaft, und der 5. Dalai Lama konsolidierte seine Macht sehr schnell und zentralisierte den Staat auf der Grundlage der militärischen Macht der Mongolen. Um die Tibeter zu einen, war er religiös an einer »ökumenischen« Haltung interessiert, d.h. er wollte eine neue Basis für die Einheit in der Unterschiedenheit der tibetischen Traditionen finden, damit sich die unterschiedlichen Schulen des tibetischen Buddhismus nicht gegeneinander aufrieben. Deshalb ließ er sich nicht nur von Gelukpa-Lehrern, sondern auch von Nyingma-Lamas im dharma unterweisen. Anfangs hatte er gegenüber den Kagyüpas eine starke Hand, wurde aber später toleranter und konzilianter (Schulemann: 235). Diese Haltung wurde sicherlich kontrovers unter den Gelukpas debattiert, und die folgende Geschichte könnte sehr wohl eine historische Basis in jenen Kontroversen haben:

In des Dalai Lamas oberer Residenz (bla brang) im Drepung-Kloster ('bras spungs) lebte ein Tulku Drakpa Gyaltsen (sprul sku grags pa rgyel mtshan), der als Reinkarnation von Panchen Sonam Drakpa (1478-1554) galt, einem Schüler des 2. Dalai Lama, wohingegen als die erste Inkarnation desselben Dulzin Drakpa Gyaltsen genannt wird, ein Schüler Tsongkhapas (1357-1410). Es ist schwierig, diese Reinkarnationslinie historisch zu prüfen, sie ist vielmehr eine Glaubenssache.[20] Tulku Drakpa Gyaltsen war vermutlich einer der Anwärter auf das Amt des 5. Dalai Lama (Yamaguchi: 12), und dies könnte zu späteren Spannungen geführt haben, besonders weil der Dalai Lama interessiert war, Zahl und Bedeutung anderer Tulku-Linien in Drepung zu reduzieren, um die Macht zu bündeln. Mit Hilfe des Regenten Sonam Rabten (bsod nams rab brtan) erreichte er sein Ziel. Wie auch immer, aufgrund seiner außerordentlichen Fähigkeiten als Gelehrter hatte Tulku Drakpa Gyaltsen eine wachsende Zahl von Anhängern, was wiederum die Eifersucht unter den Anhängern und im Haushalt des Dalai Lama heraufbeschwor. Gewisse Kreise von Regierungsbeamten, die mit dem Dalai Lama verbunden waren (einschließlich des Regenten), beschlossen, Tulku Drakpa Gyaltsen zu beseitigen. Unterschiedliche Versionen sind überliefert: daß er getötet worden sei oder Selbstmord begangen habe. Denn aufgrund seiner außerordentlichen spirituellen Kräfte, so heißt es, sei er in der Lage gewesen, jeden Anschlag auf sein Leben zu vereiteln. Aller Intrigen müde, habe er jedoch seine Unschuld dadurch beweisen wollen, daß er beschloß, Selbstmord zu begehen, nicht ohne vorherzusagen, daß, wenn er unschuldig gewesen sei, der Rauch von seinem Verbrennungsfeuer als schwarze Wolke in Gestalt einer Säule nach oben steigen sollte, die schließlich die Gestalt einer offenen Hand formen würde. Der Tulku solle daraufhin einen Schal in seinen Hals gesteckt und sich selbst erstickt haben.[21] Alles, was der Lama vorhergesagt hatte, habe sich ereignet, und sein Hauptschüler habe ihn gebeten, die Welt nicht zu verlassen sondern in Gestalt einer Revanche suchenden Gottheit, die ihre Feinde vernichtet, zurückzukehren. Alle Arten von Unglücken ereigneten sich, und auch die tibetische Regierung, ja der Dalai Lama selbst waren davon betroffen. Keiner konnte den bösen Geist hindern oder zur Strecke bringen. Als die tibetische Regierung begriff, daß der Geist nicht vernichtet werden könnte, bat man ihn um Kooperation: statt Leid zu verursachen solle er ein Beschützer der Gelukpa-Schule werden. Der Geist Tulku Drakpa Gyaltsens habe dem zugestimmt und sei als die Schutzgottheit Shugden erschienen.

Andere Traditionen aber widersprechen dieser Lesart und behaupten, Tulku Drakpa Gyaltsen sei von seinen Gegnern ermordet worden (Yamaguchi: 16). Gemäß der Autobiographie des 5. Dalai Lama wurde 1569 (12 Jahre nach dem Tod Drakpa Gyaltsens) ein Schrein gebaut, um den Geist zu regulieren und zu kontrollieren. Aber der Stupa sei ständig von ungewöhnlichen Geräuschen umgeben gewesen, so daß es ganz unmöglich gewesen sei, die negativen Kräfte zu kontrollieren. Daher wurde auf Einladung des Dalai Lama der Nyingma-Meister Rinzin Pema Thrinlay vom Dorthag-Kloster gebeten, Rituale, die in der Nyingma-Tradition gebräuchlich sind, anzuwenden, um das Unheil abzuwehren. Schließlich soll der Schrein zerstört worden sein. Die Überreste seien nach Süden, in das Tal von Dol, gebracht worden (Yamaguchi: 17). Als Folge davon sei der Geist aber um so zornvoller erschienen.

Die historische Evidenz ist nicht deutlich und Details widersprechen einander. Wir können nicht einmal sicher sein, daß die Ereignisse im Kontext des Todes von Tulku Drakpa Gyaltsen im 16. Jh. und der Kult um Shugden, der im 19. und 20. Jh. nachweisbar ist, wirklich dieselbe Gottheit betreffen. Wenn dem so wäre, ist damit aber noch nicht gesagt, daß es eine diesbezüglich ununterbrochene Tradition gegeben hat. Nach den uns heute vorliegenden Texten ergibt sich keine Evidenz, daß Tulku Drakpa Gyaltsen (sei er nun getötet worden oder habe er Selbstmord begangen) als Shugden wiedergeboren wurde, denn seine Reinkamationen können auch in menschlicher Gestalt fortgeführt worden sein, und genau dies impliziert eine andere Tradition, die behauptet, daß die Reinkarnationen in den Ngari Rinpoches zu finden seien. Wie auch immer, bereits der 5. Dalai Lama versuchte offensichtlich, diesen Geist zu kontrollieren, was auch immer seine Identität gewesen sein mag.

Tulku Drakpa Gyaltsen soll schließlich nach seinem Tode Zuflucht im Tashilhünpo-Kloster genommen und diesbezüglich Losang Choekyi Gyaltsen (1570-1662), den Panchen Lama, um Asyl gebeten haben. Nachdem er zurückgewiesen wurde, wandte er sich an das Sakya-Kloster und erklärte, daß er ein Gelübde-Brecher (dam nyams) aus der Gelukpa-Schule sei. Nach einer anderen (oralen) Tradition war es Sakya Khroba Gyalpo (oder Kunga Lhodro), der ihn als Schutzgottheit an der Tür empfing, ihm aber nicht erlaubte, das Innere des Klosters zu betreten.[22] Gemäß einer anderen oralen Tradition (wiedererzählt von Trijang Rinpoche) war es Sakya Sonam Rinchen, der ihn zuließ. Aber Sonam Rinchen wurde 1704 geboren, während Tulku Drakpa Gyaltsen bereits 1657 gestorben war. Der Zwischenraum von 47 Jahren zeigt, daß die Geschichte historisch unglaubwürdig und späteren Ursprungs ist.[23]

Welche dieser Überlieferungen am glaubwürdigsten ist, muß hier nicht erörtert werden. In jedem Falle scheint es sich um einen bösen Geist zu handeln, der klösterlichen Institutionen Schaden bringt. Außerdem spielt er den Dalai Lamas Übel mit: Erzählungen über schadhafte Wirkungen dieses Geistes gegenüber dem 3. und 4. Dalai Lama stehen neben dem Bericht, daß Shugden erst unter der Regentschaft des 5. Dalai Lama als negativer Geist in Erscheinung getreten sei. Dennoch wird er gleichzeitig als gezähmter d.h. durch Eid gebundener Geist, nämlich als dharma-Beschützer höherer Ordnung, betrachtet.[24]

Eine Schlußfolgerung kann mit ziemlich großer Sicherheit gezogen werden: Die Geschichte der Verbindung zwischen dem Tode Tulku Drakpa Gyaltsens und dem Kult um Shugden hat ihre Wurzeln in Machtkämpfen zur Zeit des 5. Dalai Lama und ist verbunden mit dessen erfolgreicher Zentralisierung der Macht in seinen eigenen Händen nach dem Tode Gushri Khans. Darüber hinaus können frühe Texte der Shugden-Verehrung auch in der Sakya-Tradition gefunden werden. Es gibt eine Hymne Lob an Shugden, die entweder von Sakya Sonam Richen (geb. 1704) oder seinem Sohn Kunga Lhodro stammt, der den Geist Tulku Drakpa Gyaltsens empfangen haben soll, wie wir bereits erwähnt haben.[25] Der Text wird in späteren Traditionen mehrfach erwähnt, obwohl die ursprüngliche Version bisher nicht gefunden werden konnte.[26] Eines der frühen Dokumente des Kultes um Shugden ist ein Text namens Lam de cha pa des Sakya Morchen Kunga Lhundup, der zu Beginn des 18. Jh. in der Dol-Gegend lebte.[27] Er erwähnt darin, daß er Rituale für Shugden vollzogen und diesen als dharmapala akzeptiert habe, Rituale wie z.B. die Konsekration einer Mantrarolle für Shugden, die in eine Statue Shugdens eingelassen worden sei. Des weiteren erwähnt er ein Orakelmedium (sku rten) Shugdens zu dieser Zeit und scheint zumindest teilweise selbst von Shugden besessen worden zu sein. Unter den Lehren, die er empfangen habe, listet er auch Lehren über Shugden auf, was bedeutet, daß es bereits vor ihm eine Kulttradition dieser Gottheit gegeben haben muß.

4.2 Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert

Der neuere und heute kontroverse Shugden-Kult beginnt wahrscheinlich mit Tagphu Dorje Chang (stag phu bstan p'ai dngos grubs, 1876-1922), dem Lehrer Phabongkhapas (1878-1941), der die Praxis auf Trijang Rinpoche (1901-1981) tradiert hat, den jüngeren Tutor des 14. Dalai Lama. Jedoch ist nicht ganz klar, ob der Ort des Ursprung dieser kultischen Tradition wirklich bewiesen werden kann. Es müssen einige Zweifel bezüglich Thagphus Text[28] angemeldet werden, denn dieser ist ein spezieller Traktat über den Nutzen der Praxis des btsan-Dämons yam-shud dmar-po. Der Text bezieht sich überhaupt nicht direkt auf Shugden. Besonders auffällig ist, daß die kontroverse Lebenshingabe an Shugden (srog gtad), wie sie von Phabongkhapa praktiziert wurde, bei Thagphu noch nicht erwähnt ist. Wie immer der genaue Hintergrund und Charakter Shugdens in diesem Kontext beurteilt werden mag, so ist doch eines deutlich: erst hier, zu Beginn dieses Jahrhunderts, tritt Shugden (Dolgyal) nachweislich in die Geschichte der Geluk-Tradition ein, wohingegen die alteren Texte Shugden mit die Sakya-Schule in Verbindung bringen. Und erst zu Beginn dieses Jahrhunderts scheint auch der Charakter der Gottheit als spezieller Sektenbeschützer hervorgetreten zu sein.

Losang Tayang

Am Anfang der Tradition in diesem Jahrhundert steht der mongolische Meister Losang Tayang (blo bzang na dbyangs), dessen Wirken während der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts begonnen hat und um 1920, vor der russischen Eroberung der Mongolei, kulminierte. Er schrieb eine lange „Liste von Texten über Gyalchen Dorje Shugden, den einzigartigen dharmapala des zweiten Buddha Jamgön“[29]. Dies bedeutet, daß Shugden hier als der Beschützer Tsongkhapas gilt, denn Jamgön (Jam mgon) ist Tsongkhapa, identifiziert als Manjushri, der sich in Tsongkhapa manifestiert. Der Text verdient unsere besondere Aufmerksamkeit, denn er stellt die erste Evidenz eines ausgedehnten Shugden-Kults dar. Er listet mehr als sechzig Texte auf, von denen die meisten verloren gegangen oder zumindest noch nicht gefunden worden sind. Einige der Texte sind Biographien von Tulku Drakpa Gyaltsen einschließlich einiger Gebete an unterschiedliche Inkarnationen desselben; ferner werden erwähnt: 37 Verse des Kaschmir Pandita Shribhadra mit einem Kommentar von Thurpu Lotsawa, eine Biographie von Panchen Sonam Drakpa von dem Eremiten Lhawang Gyatso, Gebete für die Inkarnation des Panchen Sonam Drakpa von Khenchen Ngawang Khedrup aus der Mongolei, ein Lobpreis an Panchen Sonam Drakpa von Tulku Losang Thrinlay aus Amdo, ein Gebet anläßlich der Bitte um eine Reihe von Reinkarnationen des Tulku Drakpa Gyaltsen von Panchen Losang Choekyi Gyaltsen, ein Gebet um langes Leben für den Ngari Rinpoche (in Gestalt einer Liste seiner Inkarnationen) von Kelsang Tulku usw. Zwei Schlußfolgerungen können wir aus der Gestalt dieser Liste ziehen:

  • Erstens ist die Shugden-Tradition eng verbunden mit der Geschichte von Tulku Drakpa Gyaltsen und seinen weiteren Inkarnationen,
  • zweitens hat Shugden eine nicht näher erläuterte Beziehung zu den Ngari Rinpoches (der gegenwärtige Ngari Rinpoche ist der jüngere Bruder des Dalai Lama).

Außerdem berichtet Tayangs Text (394-396), daß frühere Meister folgende Geschichte erzählt hätten:

Pehar (Nechung) habe Panchen Sonam Drakpa besucht und ihm erzählt, daß er auf langer Suche nach dem authentischsten dharma-Erben allein Tsongkhapa gefunden hätte, und daß er, Panchen Sonam Drakpa, die höchste Autorität in dieser Linie darstellen würde. Nechung habe wörtlich hinzugefügt: „Tsongkhapa ist rein, nicht vermischt mit anderen Traditionen … Um jene zu überwinden, die der Reinheit von Tsongkhapas Lehren Gewalt antun, solltest du deine vierfachen Aktivitäten manifestieren (phrin las, Manifestationskräfte), die friedvolle, die anwachsende, die mächtige, die zornvolle — und ich, Nechung, will dir dabei helfen. Ich (Nechung) bin durch einen Eid an Padmasambhava gebunden und habe ihm versprochen (treu zu sein), und er hat mir den Schutz für den gesamten dharma anvertraut. Deshalb kann ich nichts für den Schutz der besonderen Lehre des Tsongkhapa tun. Sei dir dessen bewußt.“ Tayang fährt fort und schreibt wörtlich:

Als Panchen Sonam Drakpa auf diese Weise belehrt worden war, verließ er sich mit Bedacht auf den großen dharmapala Dorje Shugden, um die Lehre und die Anhänger Tsongkhapas zu beschützen, so daß die üblen Wesen vollständig durch die zornvollen, wirkungsvollen und mächtigen Aktivitäten dessen, der die Macht hat (Shugden), besiegt werden können, damit alle bösen Feinde zu Asche verbrannt und alle Arten von bösen Geistern ungehindert besiegt würden.

Tayang behauptet, daß diese Aussage in Übereinstimmung mit der oralen Tradition früherer Meister stünde, und er interpretiert die Geschichte, daß Nechung Panchen Sonam Drakpa gebeten habe, sich als zornvolle Gottheit Shugden zu manifestieren, wie belegt. Tayang fügt kommentierend hinzu, daß nach dem Tod des Panchen Lama sein Stupa geöffnet worden sei. Man habe dabei entdeckt, daß das Verbrennungsfeuer seine Augen, das Herz und die Zunge nicht habe verbrennen können, daß vielmehr zusätzlich noch ein kleineres Herz an seiner Seite gefunden worden sei, welches sich jedoch hinsichtlich des Gewichts als viel schwerer erwiesen habe. Diese Zeichen würden bedeuten, daß er sich als eine mächtige Schutzgottheit manifestieren sollte.

Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß Tayang behauptet, daß das Wesen, das sich in Tulku Drakpa Gyaltsen inkarniert habe, sogar bereits vor dessen Lebenszeit zur Zeit des 5. Dalai Lama als Shugden erschienen sei. Dies steht im Widerspruch zu der zuvor erzählten Geschichte, Tayang fährt fort und argumentiert (S. 396): Der 5. Dalai Lama hielt sich an die Lehren aller Schulen und verbreitete diese, ohne sich auf eine bestimmte Schule festzulegen, während der dharmapala Shugden tatsächlich wollte, daß allein Tsongkhapas Tradition blühen möge. Aus diesem Grunde hätte der Dalai Lama furchterregende Visionen gehabt, die nicht kontrolliert oder beendet werden konnten. Und deshalb habe er den Sakya Rinpoche gebeten, die notwendigen Rituale zur Beruhigung des Geistwesens zu vollziehen, die jedoch ohne Erfolg gewesen seien – als man z.B. Torma (gtorma) zur Verbrennung in ein Feuer warf, die den gebannten bösen Geist enthielten, verbrannte dieser nicht, sondern kehrte immer wieder zurück, bis letztendlich ein Torma-Opfer für den Schützer Shugden dargebracht wurde, das schließlich zu dem erwünschten Erfolg führte.

Der Text läßt deutlich erkennen, daß es zu einem Interessenkonflikt kam zwischen der allgemein-tibetischen Tradition, die alle Schulen umfaßt, und einem schulbezogenen Exklusivismus der Gelukpas. Daß dieser Widerspruch an den Gestalten des 5. Dalai Lama gegenüber Tulku Drakpa Gyaltsen alias Shugden bzw. Nechung gegenüber Panchen Sonam Drakpa alias Shugden dargestellt wird, ist demgegenüber sekundär. Shugden jedenfalls steht, so Tayang, für den Gelukpa-Exklusivismus. Und genau das ist eines der Hauptprobleme in der heutigen Kontroverse.

Phabongkhapa (1878-1941)

Pabongkha Rinpoche (1878–1941)

Pabongkha Rinpoche (1878–1941)

Dieser Exklusivismus ist deutlich spürbar auch bei Phabongkhapa. Phabongkhapa (pha bong kha pa byams pa bstan 'dzin phrin las rgya mtsho) ist eine Schlüsselfigur in der Geschichte der Shugden-Kontroverse. Er war ein charismatischer Lehrer und Mitglied des Sera Me-Klosters. Ob er die Shugden-Tradition und die kontroverse Sogde-Zeremonie (srog gtad, Lebenshingabe) von seinem Lehrer Tagphu empfangen hat oder nicht, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Er war jedenfalls derjenige, der sie machtvoll verkündete, viele Schüler in sie initiierte und diese Praxis unter hohen Gelukpa-Lamas populär machte. In dem Text „Initiationstexte für die Praxis von visionären Lehren“[30], die er von Losang Choekyi Wangchuk (blo bzang chos kyi dbang phyug) empfangen hatte, finden sich Lehren über Amitayus, Avalokiteshvara, Vajrapani, Tara und den Guru-Yoga. Aber auffälligerweise wird Shugden nicht erwähnt. Der Text befaßt sich mit höheren tantrischen Initiationen. Daß Shugden in diesem Kontext keine Erwähnung findet, legt den Schluß nahe, daß diese Gottheit hier nicht als zu einer hohen Klasse von Gottheiten zugehörig erachtet wird. In einem anderen Text jedoch, der den Titel trägt „Der grundlegende Segen der Lebensinitiation Shugdens, des mächtigsten dharmapalas von Jamgön (Tsongkhapa), des Juwelenwagens, der unermeßliche Segungen mit sich bringt“[31], präsentiert er einen detaillierten Bericht über die Shugden-Praxis und schreibt (498-499):

Ich habe dies auf die Bitte von Shugden geschrieben, denn in der Vergangenheit gab es eine Sogde-Tradition (srog gtad) bezüglich Shugden.[32] Aber in späterer Zeit konnten weder die Tradition noch der Text aufgefunden werden – sie sind wie Blumen im Himmel geworden –, und deshalb hat mich Shugden zweimal gebeten, einen neuen Initiationstext zu verfassen. Ich habe die Initiationspraxis (dbang) an einige Schüler in Übereinstimmung mit meiner eigenen Erfahrung weitergegeben, und (ein Text) ist geschrieben worden als Grundlage für (einen detaillierteren Text). Aber dies allein würde nicht verläßlich sein und gliche eher einem unehelichen Sohn. Deshalb habe ich den Text in allen Details meinem Meister Tagphu Dorje Chang vorgetragen und ihm meinen Entwurf vorgelegt … (501) Er hat auf der Grundlage dieses Entwurfs seinen eigenen Text niedergeschrieben und damit die Vorlage mit seiner eigenen Vision verknüpft. Tagphu hat über die fünf Typen Shugdens geschrieben, die entsprechenden Farben usw., auch über die Opfer, die ihm dargebracht werden müssen. Demgemäß müssen im Augenblick der Initiation der längere Lamrim-Text auf dem Altar liegen, sowie ein Chakra, das das Leben des Betreffenden repräsentiert, eine Doppeltrommel (damaru), ein Diamantzepter (rdo rje) usw. Der Übende hat dabei die lebenserzeugenden Worte Vajrabhairavas zu murmeln und Torma-Opfer darzubringen … (502) Die Initiation kann derjenige empfangen, der in die Vajrabhairavas-Praxis eingeführt ist und der die Gelübde, die mit dieser Initiation verbunden sind, bedingungslos einhält … (502-503) Obwohl es so viele unterschiedliche Traditionen und Philosophien in Tibet gibt, ist nur diese Tradition Tsongkhapas die höchste, die Spitze des Siegesbanners, die vollständigste, das Wesen der Lehre … (505) Um Shugden für sich selbst in Dienst zu stellen, ist dies eine außerordentlich mächtige Segensform Um diese Initiation zu empfangen, visualisieren sich die Schüler selbst als yidam (Vajrabhairava), und als solcher rufen sie Shugden herbei und kontrollieren ihn. Der dharmapla (Shugden) wird den Schülern präsentiert als derjenige, der sich ihren Befehlen fügt.

Er fährt fort (505) und erläutert, wie Meister und Schüler sich selbst als Vajrabhairava und/oder Yamantaka visualisieren und dann die Initiation in die fünf Aspekte Shugdens empfangen, einschließlich der Mantras, der Farben usw., die vom Altar ausstrahlen. Diese emanierenden Energien werden vollkommen im Herzen des Schülers aufgenommen und aufgelöst, mit der vollen Bewußtheit, daß er es nun ist, der den Beschützer kontrolliert.

Um diesen Text Phabongkhapas angemessen zu interpretieren, müssen wir zunächst die unterschiedlichen Aspekte des Initiationsbegriffs im tibetischen Buddhismus unterscheiden: Es gibt im wesentlichen zwei Typen von Initiation, und der erste der Typen hat zwei Aspekte:

  • a) die Initiation in den Bereich oder die Präsenz einer positiven Emanation einer Gottheit (dbang), die im wesentlichen dem indischen abhisheka-Ritus entspricht;

    b) die Erlaubnis, mit der Praxis einer Gottheit nach der Initiation fortzufahren (rjes gnang). Dies verlangt die Kontrolle über die Gottheit, und von hohen spirituellen Meistern gilt, daß sie über diese Kontrollkraft tatsächlich vertilgen.
  • Initiation als Lebenshingabe (srog gtad), wobei es sich um vollständige Hingabe einer Person handelt, d.h. der Mensch gibt sein gesamtes Leben hin und nimmt unbedingte Zuflucht. Diese unbedingte Hingabe darf nur gegenüber einem Buddha oder einem yidam ausgeübt werden, denn der yidam ist die vollkommene Emanation des Buddha auf personaler Ebene.

Auf der Grundlage dieser Unterscheidung sind in Phabongkhapas Text drei wesentliche Aussagen enthalten:

  • Phabongkhapas Text behauptet nicht, daß nur Gelukpa-Lehren zur Befreiung führen, obwohl er Tsongkhapas Lehren die höchsten und das Wesen aller Lehren nennt. Aber das ist traditioneller Sprachgebrauch und nicht ein überzogener Exklusivismus
  • Der Text sagt auch nicht, daß Meister und Schüler tatsächlich Zuflucht bei Shugden nehmen. Der yidam und Shugden werden auseinandergehalten, und eindeutig heißt es, daß der dharmapala kontrolliert werden müsse: Der Meister überträgt seine Kraft auf den Schüler, so daß dieser Shugden kontrollieren kann, und dies ist allgemeine Praxis.
  • Insofern jedoch der Schüler mit der Energie Shugdens verschmilzt, tritt eine Identifikation mit Shugden ein, und das ist eine  Lehre, die der klassischen Gelukpa-Tradition widerspricht. Denn es kann keinen srog gtad bezüglich eines dharmapala geben, weil ein dharmapala kein Buddha oder yidam, sondern ein geringeres Wesen ist.[33]

Die Kontroverse spitzt sich also zu auf die Interpretation des Status von Shugden. Und hier ergibt sich ein Widerspruch, der nicht auflösbar ist: Einerseits wird argumentiert, daß Shugden eine zornvolle weltliche Schutzgottheit mit einem nachweislichen Ursprung in der Geschichte ist, die unter Kontrolle gebracht werden muß, wenn man segensreich mit ihr umgehen will. Andererseits behaupten jene, die Shugden kultisch verehren, daß Shugden eine hohe Gottheit jenseits der weltlichen Ebene sei und deshalb Lebenshingabe (srog gtad), d.h. eine Verehrung und Hingabe wie die Emanationen des Buddha verdiene.

Ob dieser Widerspruch mit dem anderen Einwand zusammenhängt, daß in Shugden ein Sektengeist am Werke sei (Gelukpa-Exklusivismus), ist eine andere Frage. Die Antwort hängt von einer Analyse der weiteren Geschichte Shugdens ab, und die betreffenden Interpretationen variieren in der Tradition, wie ich oben bereits gezeigt habe.

13. Dalai Lama, Thubten Gyatso (1876–1933)

13. Dalai Lama, Thubten Gyatso (1876–1933)

Das Problem wurde bereits vom 13. Dalai Lama gesehen und angepackt, als er Phabongkhapa persönlich aufforderte, diese Sogde-Praxis zu beenden. Phabongkhapa gehorchte und sandte einen Brief mit Erläuterungen und dem Bedauern, daß er die Praxis ausgeübt habe. Dieser Vorfall ist dokumentiert in Dharma Losang Dorjes Biographie Phabongkhapas[34], die den Brief an den 13. Dalai Lama in Band 14 (Lhasa Edition), Seite 471 ff enthält. Der Brief ist nicht datiert, sondern sagt nur, daß er nach dem 39. Jahr geschrieben sei, d.h. nach 1917. Der Hintergrund des Schreibens ist, daß Phabongkhapa vom Dalai Lama und dem Kashag zitiert worden war, um seine Lehren zu erläutern, nachdem er diese kontroversen Initiationen bereits einer großen Anzahl von Menschen in Drepung gegeben hatte. Mit Bezug auf einen früheren Brief schreibt er:

Ich habe am 22. Tag des letzten Monats des letzten Jahres einen Brief geschrieben. Ich danke Ihnen für alle Ihre Richtigstellungen. Ich habe nichts dagegen zu sagen. Es ist alles mein Fehler. Von nun an werde ich Ihren Worten aus meinem ganzen Herzen folgen, und ich möchte mich für alle Fehler entschuldigen, die ich begangen habe.

Er zitiert dann aus einem Brief, den ihm die Regierung zuvor geschickt hatte, in dem das kontroverse Problem angesprochen worden war. Darin habe es geheißen:

Obwohl noch eine Reihe von Anmerkungen gemacht werden müßten bezüglich der drei Probleme, die Sie erwähnen (bezüglich der falschen Argumentation und des Problems der Schriftautorität) wollen wir es jetzt dabei belassen. (Es ist genug) die Gelübde zu halten und Zuflucht bei den Drei Juwelen (triratna) zu nehmen. Aufgrund Ihrer Verehrung Shugdens während der letzten Jahre und im Zusammenhang mit Ihren Lehrunterweisungen über Lamrim haben sehr viele Übende diese Praxis übernommen. Aber der Gründer von Drepung hat befohlen, daß Nechung der Beschützer dieses Klosters sei, und Nechung hat der Drepung-Verwaltung gesagt: „Bedauerlicherweise wird (die Blüte des) dharma verkürzt wegen der Lehren Phabongkhapas.“ Nechung hat sein Bedauern mehrere Male ausgedrückt, und die Ursache für sein Bedauern ist die Shugden-Praxis, Nechung ist verärgert über Ihr Verhalten, denn Sie verlassen sich auf eine weltliche zornvolle Gottheit, um Vorteile in diesem Leben zu gewinnen, was gegen die triratna-Vorschriften ist … Weil Sie durch Ihre Unwissenheit verwirrt sind, sind Sie absichtlich den Pfad der Tugendlosigkeit gegangen und haben andere in die Irre geführt, obwohl Sie sagen, daß Sie dies nicht beabsichtigt hätten. Aber das ist ein Widerspruch. Dafür müssen Sie sich rechtfertigen.

Phabongkhapa wurde hier also offensichtlich bereits zum zweiten Male zur Verantwortung gezogen, und er erläutert seine Position mit einem interessanten Verweis auf seine Biographie. Er schreibt nämlich an den 13. Dalai Lama:

Meine alte Mutter hat gesagt, daß Shugden eine besondere Gottheit (lha) bei meiner Geburt gewesen sei, so mußte ich Shugden kultisch verehren. Aber von jetzt an, da ich einsehe, daß ich einen Fehler begangen habe, will ich das Versprechen halten, Shugden nicht zu verehren und die mit ihm verbundenen Rituale nicht zu vollziehen … Ich entschuldige mich dafür, daß ich den Zorn Nechungs heraufbeschworen und gegen die triratna-Gelübde verstoßen habe. Ich möchte für mich um Vergebung bitten bei Ihrer Freundlichkeit und durch Ihre große Bannherzigkeit. Sie (der Dalai Lama), der Sie der Beschützer besonders von armen Wesen sind …

Der Hinweis auf seine Mutter und die Umstände seiner Geburt konnten vermuten lassen, daß Shugden Gegenstand eines populären Kultes gewesen ist. Denn zur Geburtsstunde, so glaubt man im tibetischen Buddhismus allgemein, ist immer eine besondere Gottheit gegenwärtig, die sich dann als bedeutungsvoll für das gesamte Leben einer Person erweist.

Wir wissen natürlich nicht, wie groß der Druck auf Phabongkhapa gewesen sein mag, daß er sich dieser Bitte der Regierung gebeugt hat. Phabongkhapa jedenfalls gehorcht dem Dalai Lama und der Regierung, denn er versteht:

  • Shugden steht im Widerspruch zu Nechung, der der Regierung und dem Dalai Lama persönlich sehr nahe steht und der Beschützer des Drepung-Klosters ist.
  • Zuflucht zu Shugden bedeutet die Relativierung der Zuflucht zu den Drei Juwelen (triratna) Buddha, dharma und samgha.

Die Geschichte um Shugden, Phabongkhapa und den 13. Dalai Lama ist damit aber noch nicht zu Ende. In Phabongkhapas Biographie[35] wird eine eigenartige Begebenheit erwähnt: Unmittelbar vor dem Tod des 13. Dalai Lama soll Shugden in der Gegenwart Phabongkhapas in einen jungen Mönch hineingefahren sein, und der Mönch habe zweimal in hoher und exaltierter Stimme ausgerufen: „Nach der Vollendung des neunten wird der Neumondtag sein.“ Phabongkhapa konnte die Bedeutung des Ausrufs nicht sofort erfassen. Aber als kurz darauf der Dalai Lama am Ende des neunten Monats an einem Neumondtag starb, interpretierte er das Ereignis als einen Hinweis auf den Tod des 13. Dalai Lama. Die hohe Stimme jedoch wird als Anzeichen von Freude interpretiert, daß derjenige, der den Shugden-Kult ausrotten wollte, nun gestorben sei. So wird zwischen Shugden und den Dalai Lamas ganz ausdrücklich eine Feindschaft behauptet.

Ob Phabongkhapas Shugden-Praxis zu gewaltsamen, sektiererischen Attacken besonders auf Nyingma-Institutionen geführt hat, ist nicht ganz deutlich. Tsetan Zhabdrung, ein berühmter Gelehrter von Amdo, berichtet, daß Anhänger Phabongkhapas Padmasambhavas Bild und darüber hinaus auch Bilder von anderen friedvollen und zornvollen Gottheiten, die in den Nyingma-Institutionen eine Rolle spielen, zerstört hätten.

Trijang Rinpoche (1901-1981)

Trijang Rinpoche</a> (1901–1981)

Trijang Rinpoche (1901–1981)

Trijang Rinpoche, der Schüler Phabongkhapas und jüngere Tutor des 14. Dalai Lama, hatte einen außerordentlich großen Einfluß auf eine ganze Generation von Tulkus und hohen Lamas der Gelukpa-Schule. Seine Residenz im Gaden Shartse-Kloster (im Exil nahe Mundgod, Karnataka, Indien) sicherte eine enge Beziehung dieser monastischen Einrichtung zu seinen Lehren. Er praktizierte auch die Shugden-Tradition, und die meisten der gegenwärtigen Gelukpa-Lamas, die der Anordnung des 14. Dalai Lamas, den Shugden-Kult aufzugeben, Widerstand entgegensetzen, tun dies mit Verweis auf Trijang Rinpoche als ihrem Lehrer. Trijang beschreibt seine Haltung zu Shugden in seiner Autobiographie (publiziert in Tibetisch Delhi 1978) und in einem Text „Kommentar zu Phabongkhapas Lobpreis auf Shugden“[36].

Trijang argumentiert, daß die Gottheit Shugden bereits eine Beziehung zu Tsongkhapa gehabt und daß sich Shugden in Übereinstimmung mit den Wünschen Nechungs als dharmapala manifestiert habe. Er ruft in seinem »Lobpreis« Shugden wie folgt an:[37]

Lobpreis Dir, der Du den Mut hattest, dem Wunsch Nechungs zu entsprechen, dem außerordentlich mächtigen Beschützer, der dich immer wieder gebeten hat, als dieser dharmapala besonders für die Gaden-Tradition zu erscheinen.

Er schließt sich also Phabongkhapas (ursprünglicher) Meinung an (die er kommentiert), daß es keinen Widerspruch zwischen Nechung und Shugden gebe. Trijang erzählt die Geschichte, daß einst, als Tsongkhapa in Gaden Unterweisungen gab, ein kleiner Junge, der weiße Kleider trug, dem Meister wiederholt nahe getreten sei und gesagt habe: „Du mußt mir helfen.“ Wissend, daß der Knabe eine Manifestation Pehars war, antwortete er nicht. Aber Dulzin Drakpa Gyaltsen (die vorherige Inkarnation von Tulku Drakpa Gyaltsen), der neben Tsongkhapa saß, sprach den Knaben eines Tages an und sagte, daß er ihm geben wolle, was er brauche, da der Meister selbst vom Lehren müde sei. Der Knabe sagte, daß er keiner Dinge bedürfe und nur die Aufmerksamkeit auf sich habe lenken wollen, und verschwand. Später soll Nechung dem Panchen Sonam Drakpa gesagt haben, daß er selbst ja verpflichtet sei, den gesamten Buddhismus zu beschützen, so daß er seinen Schutz nicht in besonderer Weise für Gelukpa-Lehren geben könne, und er habe darum Panchen Sonam Drakpa gebeten, sich als zornvoller Beschützer der Gelukpa-Lehre zu erheben. Der Panchen Lama, so schreibt Trijang, habe darauf wie folgt geantwortet:[38]

‚Ich werde mich darum später kümmern‘, ohne daß er Nechungs Wunsch zu diesem Zeitpunkt bereits erfüllt habe. Aber später, in der Inkarnation als Tulku Drakpa Gyaltsen, habe Nechung ihn gebeten, sich an sein früheres Versprechen zu erinnern, Er konnte sich aber nicht erinnern, und so gab Pehar ihm gesegnete Samenkörner und sagte: ‚Wenn du diese einnimmst, während du in Retreat bist, wird dir alles klar werden.‘ So zog er sich in Retreat zurück und konnte sich nach einiger Zeit an sein früheres Versprechen erinnern.

Trijang argumentiert des weiteren, daß der 5. Dalai Lama und Tulku Drakpa Gyaltsen überhaupt keine Kontroverse gehabt haben konnten, sondern daß dieses Unglück allein zu Lasten der Anhänger beider Lamas ginge. Die scheinbare Differenz zwischen dem Dalai Lama und Tulku Drakpa Gyaltsen sei ein upaya gewesen, ein geschicktes Mittel also, das sie benutzt hätten, um die Macht Shugdens zu manifestieren und zu demonstrieren. Trijang zitiert[39] als Beleg eine Hymne, die der 5. Dalai Lama zum Lobpreis Shugdens (Tulku Drakpa Gyaltsen) geschrieben haben soll:

… Deine Kraft und Macht ist wie der Blitz. Du besitzt den Mut und das Vertrauen zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Ich lade Dich vertrauensvoll ein, darum komme doch bitte hier an diesen Ort … Du unterwirfst verschiedene Geister, die an Verbrennungsplätzen hausen. Ich stelle verschiedene äußere, innere und geheime Opfer und Tormas her. Ich bekenne, daß ich zuvor wegen meiner Selbstsucht nicht anders konnte, als so hart (gegen diesen Geist) zu sein. Aber jetzt singe ich Dir demütig und respektvoll mit Körper, Rede und Geist den Lobpreis … Mögen wir immer beschützt werden durch den triratna.

Das Problem ist, daß die Autorenschaft des 5. Dalai Lama für diesen Text keinen historischen Anhaltspunkt hat, weder in der Biographie des 5. Dalai Lama noch an einem anderen Ort. Im Gegenteil, man muß annehmen, daß, wenn der Dalai Lama von einer Beziehung zwischen Tsongkhapa (Nechung) und Shugden (Tulku Drakpa Gyaltsen) gewußt hätte, er sich anders verhalten haben würde. Wegen der völlig anderen Position und dem Rang der beiden ist es aber ganz unwahrscheinlich, daß der 5. Dalai Lama solch einen Hymnus der Selbstkorrektur geschrieben haben kann.

Trijang erwähnt[40] auch noch eine Verbindung zwischen Sakya Morchen Kunga Lhundup (frühes 18. Jh.) und Shugden, denn Morchen (der Sonam Rinchen gebeten hatte, den Shugden-Text zu verfassen) sei überzeugt gewesen, daß es jetzt an der Zeit sei, sich auf Shugden zu verlassen.

Weitere orale Traditionen werden von Trijang Rinpoche erzählt, um die Shugden-Tradition zu begründen und zu verteidigen. Wir wollen sie nicht alle aufzählen. Trijang will zeigen, daß Nechung und Shugden nicht im Widerspruch miteinander stehen bzw. daß es keinen Widerspruch zwischen dem allgemeinen Schutz der gesamten tibetischen buddhistischen Tradition und dem spezifischen Schutz für die Gelukpa-Schule allein gebe. Schaut man aber in die Geschichte des Kampfes zwischen unterschiedlichen Schulen in Tibet und beurteilt die Sachlage aufgrund der heftigen gegenwärtigen Kontroverse, ist diese erwünschte Widerspruchsfreiheit eher zweifelhaft.

Nach den obigen Ausführungen ist jedenfalls eines deutlich: Die Frage nach der Authentizität der Shugden-Tradition kann durch historische Evidenz nicht entschieden werden.

5. Gegenwärtige Debatte und Konsequenzen

Als die Tibeter ins Exil gingen, brachten einige Lamas wie Trijang Rinpoche, Zong Rinpoche u.a., viele von ihnen mit dem Gaden-Shartse-Kloster verbunden, die Shugden-Praxis mit. Besonders Zong Rinpoche war als Schüler von Trijang Rinpoche in dieser Praxis engagiert und gab sie an zahlreiche Schüler weiter, zuerst in Buxa Duar (Nordindien), später in Südindien. Es muß jedoch erwähnt werden, daß viele der Lamas, die jene Initiation empfangen haben, längst Shugden-Anhänger gewesen waren, und es ist offensichtlich, daß diese Praxis wenigstens seit zwei oder drei Generationen nicht nur in Nepal weit verbreitet war, wie wir bereits erwähnt haben, sondern auch in anderen Gegenden des südlichen Himalaya wie Ladakh und Spiti. Der 14. Dalai Lama selbst war in diese Praxis durch seinen Tutor Trijang Rinpoche eingeführt worden.

14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso

Der gegenwärtige 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, geboren 1935 in Taktser, Provinz Amdo, Osttibet

Wie ich bereits zu Beginn sagte, geht die gegenwärtige Kontroverse in die 70er Jahre zurück, als der Dalai Lama öffentlich Zweifel hinsichtlich des Shugden-Kults äußerte und denselben beendete, zuerst für sich selbst 1976 und schließlich öffentlich 1996, indem er alle offiziellen Institutionen, die mit der Regierung verbunden sind, sowie Schüler, die Initiationen von ihm empfangen hatten, aufforderte, die Shugden-Praxis aufzugeben. Zemed Tulku (in Gaden Shartse) schrieb sein Buch Pha goed la mae shal lung, in dem er Shugden als Zerstörer von Nyingma- und Kagyü-Einflüssen preist, wohingegen andere (wie z.B. Sakya Dongtog Denpa Gyaltsen) einer solchen Deutung widersprachen. Zemed Tulku berichtet, er habe private Instruktionen von Trijang Rinpoche über Shugden empfangen, die in der Aussage gipfeln, daß Shugden alle »großen Adepten, hohen Lehrer und einfache Leute, die die Geluk-Schule verunreinigen und korrumpieren, machtvoll zerstört«. Er führt fort und erzählt Geschichten, daß jene, die sich Shugden entgegengestellt hatten, einen vorzeitigen Tod gefunden und andere Widrigkeiten erfahren hätten. Dies richtet sich gegen jene, die Nyingma-Lehren studieren und danach meditieren. Indirekt ist diese Warnung an den 14. Dalai Lama gerichtet, der alle Traditionen studiert und große Anstrengungen unternommen hat, einen gemeinsamen Grund in den wesentlichen Schulen des tibetischen Buddhismus zu entdecken[41], um genau jene exklusivistischen Tendenzen zu überwinden, die Shugden schützen soll.

Der 14. Dalai Lama hat das Problem verschiedentlich aufgegriffen. Seine Äußerungen zu Shugden sind gesammelt und kürzlich auf Tibetisch publiziert worden.[42] Um den kanonischen Status von Shugden zu untersuchen sowie seinen Kult zu interpretieren, wendet er im wesentlichen drei methodologische Mittel oder Argumente an: 1. historische Evidenz, 2. politisches Argument, 3. spirituelle Einsicht.

5.1 Historische Argumente

Um die Authentizität der Shugden-Tradition zu untersuchen, bezieht sich der Dalai Lama auf die historischen Ursprünge zurück. Einer solchen Methode liegt die Annahme zugrunde, daß am Ursprung die Reinheit der Tradition noch erhalten sei und daher die Entdeckung des Ursprünglichen ein Urteil über die Geltung einer Erscheinung oder einer Aussage durch Vergleich ermögliche. Jedoch müssen hier zwei »Ursprünge« unterschieden werden:

  • der allgemeine Ursprung der buddhistischen Tradition (der Buddha, der den dharma gepredigt und somit den samgha etabliert hat), und
  • der besondere Ursprung der Gelukpa-Tradition (Tsangkhapa und seine Lehren),.

Der Dalai Lama verteidigt seine Anschauungen mit dem Argument, daß der Buddhismus Zuflucht in die drei Juwelen (triratna) sei, und dies allein müsse der Maßstab für das sein, was gelten solle. Jedwede zusätzliche Praxis könne hilfreich sein, diese Zuflucht in triratna zu stärken, aber sie dürfe niemals ein Ersatz werden. Wenn solch eine zusätzliche Praxis aber zu einer Verdunklung von triratna führen sollte, so müsse sie aufgegeben werden. Aus diesem Grunde lehnt der Dalai Lama die Praxis der Lebenshingabe (srog gtad) an Shugden ab. Andernfalls würde der tibetische Buddhismus auf eine Form des Schamanismus zurücksinken.[43] Er greift die Shugden-Praxis außerdem an, weil sie eine Korruption der ursprünglichen dharmapala-Praxis für weltliche Zwecke darstelle:[44]

Geister zu verehren ist eine Praxis, die im vorbuddhistischen Tibet ihren Ursprung hat. Als jedoch Guru Padmasambhava half, den Buddhismus in Tibet im 8. Jahrhundert zu verwurzeln, nahm er einige Geistwesen wie Nechung, das Staatsorakel, in Dienst, um die buddhistische Lehre zu beschützen. Aufgrund seiner hohen spirituellen Errungenschaften war er in der Lage, solche Geistwesen zu unterwerfen und sie durch Gelübde zu binden. Die Verehrung von Geistwesen ist somit nicht als solche eine buddhistische Praxis, sondern ein Hilfsmittel, die spirituelle Praxis aufrecht zu erhalten. Über die Jahrhunderte hinweg ist die Praxis der Verehrung von Geistwesen allerdings umgedeutet worden als Mittel, Ruhm, Glück und allgemeine Wohlfahrt in diesem Leben zu erlangen. Dies sind Ziele, die der allgemeinen buddhistischen Lebensanschauung widersprechen.

Gleichzeitig muß er seine Argumente auf den spezifischen Ursprung der Gelukpa-Tradition, d.h. auf Tsongkhapa, zurückführen. Es könne hier keinen Widerspruch geben, denn wenn Tsongkhapa den Buddha-Dharma richtig interpretiert, bezieht er sich ja selbst auf triratna. Daraus folgt, daß das gültig ist, was auf die triratna-Tradition zurückgeführt werden kann, wie sie durch Tsongkhapa interpretiert wird. Um ein Beispiel zu geben: Der Dalai Lama argumentiert, daß Tsongkhapa und seine Schüler sich nicht auf irgendwelche weltlichen Gottheiten und Beschützer verlassen hätten, denn das sei evident aus der Tatsache, daß selbst Tsongkhapas Geburtsgottheit den Schrein innerhalb des Geländes von Gaden nicht betreten durfte. (Vollständige Sammlung, 63) So benutzt der Dalai Lama Phabongkhapas Argument, das wir bereits zitiert hatten, gegen Phabongkhapa auf der Basis einer historischen Anmerkung zu Tsongkhapa. Und er fügt hinzu, daß all jenen Lamas von Gaden, die Shugden verehrt haben, an verschiedenen Schnittpunkten im Leben Unglück widerfahren sei.

Weiterhin argumentiert er, daß die maßgeblichen Beschützer Mahakala (für alle Traditionen) und Dharmaraja (exklusiv für die Gelukpas) seien. Dharmaraja ist Manjushri als Guru, d.h. er ist gleichzeitig yidam und dharmapala. Tsongkhapa hatte die drei Beschützer für drei Arten von Wesen verehrt: Mahakala (den zornvollen Aspekt von Avalokiteshvara) für Wesen mit höchsten Zielen, Vaishravana für Wesen mit mittleren Zielen und Dharmaraja für Wesen mit niederen Zielen. Zu seiner Zeit gab es keine Notwendigkeit, weitere Beschützer zu suchen, und daran solle auch heute nicht gerüttelt werden von all jenen, die wirklich in der Tradition Tsongkhapas stehen wollen. (Vollständige Sammlung, 50-51)

5.2 Politische Argumente

Der Dalai Lama ist ein hoher Tulku der Gelukpa-Tradition, gleichzeitig aber ist er verantwortlich für den gesamten tibetischen Buddhismus. Das ist ein strukturelles Problem, denn wenn die Interessen beider Dimensionen nicht kongruieren, gerät der Dalai Lama in einen Konflikt. Den Konflikt zu lösen, ist ein politisches Problem, das der gegenwärtige Dalai Lama wiederum mittels des historischen Vergleichs und allgemeiner Vernunfturteile zu lösen versucht. Er bezieht sich dabei auf das Leben des 5. und des 13. Dalai Lama, benutzt diese Vorgänger als Beispiele eines allgemein »ökumenisch« buddhistischen Geistes, der ein Denken, das sich an Partikularinteressen orientiert, hinter sich gelassen hat, und folgt derselben Logik wie seine Vorgänger. Für beide Fälle ist die historische Evidenz bereits von uns behandelt worden. Der 5. Dalai Lama z.B. etablierte zwar die politische Macht der Gelukpas, aber im Laufe der Zeit integrierte er Nyingma- und Kagyü-Lehren und balancierte so das Interesse unterschiedlicher Gruppen aus. Auf diese Weise schuf er eine politische Stabilität, die es in dieser Weise vorher nicht gegeben hatte.

Ähnliches trifft auf die heutige Situation zu. Der 14. Dalai Lama wünscht, daß alle Tibeter vereint sein sollten. In der Zuflucht zu den Drei Juwelen (triratna) und die Unterschiede der Schulen so reflektieren, daß sie deren gegenseitige Abhängigkeit erkennen[45], um auf diese Weise alle trennenden Kräfte zu überwinden. Der Dalai Lama argumentiert (Vollständige Sammlung, 77): Die Shugden-Verehrer behaupten, daß Nechung Tulku Drakpa Gyaltsen mehrmals gebeten habe, sich als die zornvolle Gottheit Shugden zu manifestieren. Selbst wenn das der Fall wäre, dann wäre es doch Nechung, der als Subjekt und Ursprung dieser ganzen Tradition zu gelten hätte. Dies aber ist unmöglich wegen der sektenhaften Grundhaltung dieses geistigen Wesens. Also kann die Ursprungsgeschichte Shugdens nicht stimmen.

5.3 Spirituelle Einsicht

Da es sich hier um eine Kontroverse handelt, bei der es um Gottheiten geht, die miteinander in Konflikt geraten sind (Nechung versus Shugden), ist eine unmittelbare Einsicht in die Natur jener spirituellen Ebenen vonnöten, um die Authentizität der einen oder anderen Seite beurteilen zu können. Der Dalai Lama verläßt sich, wie alle Dalai Lamas vor ihm, auf Nechung, und er argumentiert wiederholt, daß er Nechung in einer besonderen spirituellen Kommunikation, die nicht jedem zugänglich ist, in der Angelegenheit befragt hätte. Nechung habe ihm gesagt, er müsse die Angelegenheit regeln. (Vollständige Sammlung 49-50) Demgemäß sei Nechung im Konflikt mit Shugden, und aus diesem Grunde müsse der Shugden-Kult aufgegeben werden. Aber auch auf dieser Ebene beurteilt der Dalai Lama die Authentizität Nechungs mit Verstandesargumenten, wenn er sagt. (Vollständige Sammlung 77)

Selbst wenn mein Meister etwas sagt, vergleiche ich es mit dem, was Je Tsongkhapa gesagt hat und untersuche die Aussage auf dieser Basis. In ähnlicher Weise glaube ich nicht einfach etwas, selbst wenn es von einem dharma-Beschützer stammt. Ich denke darüber nach und halte eine Divination. Ich bin dabei sehr sorgfältig … Einige mögen denken, daß ich einfach alles leicht glaube, was Nechung sagt, … aber das ist nicht so … Es heißt, daß wir Gelukpas die Kraft konventioneller Verstandesargumente zu schätzen wissen, und diesem Ruf müssen wir uns tatsächlich auch würdig erweisen. Aus diesem Grunde muß gefragt werden, ob Shugden die Reinkarnation Tulku Drakpa Gyaltsens ist oder nicht. Selbst wenn es so wäre, würde dies auf der Grundlage eines Konfliktes zwischen Tulku Drakpa und dem 5. Dalai Lama so sein … Die Angelegenheit muß mit Vernunftsargumenten betrachtet werden … Aber das Außergewöhnliche (die Gottheiten) auf der Ebene von Vernunftargumenten gewöhnlicher Wesen zu beurteilen, ist letztlich unmöglich.

5.4. Konsequenzen

Wir haben die Geschichte der Shugden-Tradition zu erhellen versucht und die Argumente angeführt, die für und wider den Shugden-Kult in die Debatte geworfen werden. Trotz der historischen Argumente, trotz der Autorität des Dalai Lama und trotz der politischen Situation ist offensichtlich der Widerstand gegen die Interpretationen des Dalai Lama und der Exilregierung nicht verstummt. Und das hat, wie mir scheint, zwei Gründe:[46]

  • die unbedingte Bindung an den Wurzellehrer,
  • die Sorge um die Religionsfreiheit.

Viele der gegenwärtigen Lamas der Gelukpa-Tradition haben ihre Lehren von Trijang Rinpoche oder Zong Rinpoche empfangen. In jenen Fällen, wo der spirituelle Meister die Rolle des Wurzellamas (rtsa ba'l bla ma) hat, der dem Schüler alle drei Aspekte der Tradition übergeben hat (orale Transmission der Texte und der Kommentare, sowie die tantrische Initiation), ist die Beziehung zum Lehrer durch absoluten Gehorsam gekennzeichnet. Dies ist ein wesentlicher Aspekt der Vajrayana-Praxis. Wenn also der Wurzellehrer die Shugden-Praxis einem Schüler weitergegeben hat, dann darf dieser sie nicht aufgeben, selbst wenn er es wollte. Andernfalls würde der Schüler gemäß der tantrischen Tradition als eine Person betrachtet werden müssen, die das tantrische Gelübde gebrochen hat (dam-nyams). Dies ist das tragische Dilemma in der gegenwärtigen Kontroverse.

Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung, daß die gegenwärtige Kontroverse den Widerspruch zwischen der Notwendigkeit, die Gültigkeit von Urteilen kritisch herzustellen, und dem Gehorsam gegenüber dem Guru (Lama) offenbart.

Außerdem ist der Eindruck entstanden, daß die Religionsfreiheit in Gefahr sei. Dies vor allem deshalb, weil die historischen und hermeneutischen Hintergründe des Shugden-Problems nicht einfach zu verstehen sind. Die Argumente des Dalai Lama freilich zielen darauf, nicht die Religionsfreiheit einzuschränken, sondern die öffentliche Religionsausübung an den Maßstäben des buddhistischen Kanons und der mit Vernunftargumenten interpretierten Geschichte zu messen. Aber selbst wenn die Religionsfreiheit eingeschränkt würde, ist doch offensichtlich, daß Religionsfreiheit durch die kanonische Selbstinterpretation einer Religion oder den hermeneutischen Prozeß, der durch intersubjektive Debatte über das, was authentisch im Licht des Ursprungs ist und was nicht, konditioniert ist. Deshalb ist die gegenwärtige Kontroverse und der Ruf des Dalai Lama, sich auf die wesentlichen Aspekte der buddhistischen Praxis zu besinnen, ein signifikantes Ereignis, Kanonizität hinsichtlich von nicht-textuellen Aspekten des tibetischen Buddhismus herzustellen und somit einen beliebigen Synkretismus von kreativer Integration zu unterscheiden, die sich gegenüber dem Kanon der Tradition verantwortet. Dies ist in der Geschichte des tibetischen Buddhismus nie anders gewesen.  ■


Fußnoten

[1] Statement of H.H. the Dalai Lama on the Shugden Issue. 1st July, 1996, Archives Private Office of H.H. the Dalai Lama, Dharamsala 1996; vgl. Shobhan Saxenas Interview mit dem Dalai Lama, in: The Times of India August 17, 1996.

[2] Offener Brief „To the Tibetan Buddhists around the World and fellow Tibetan compatriots within and outside Tibet“, ohne Datum (Sommer/Herbst 1996), Archives of the Council of Religious and Cultural Affairs, Dharamsala.

[3] To the Tibetan Buddhists, aaO., 5.

[4] To the Tibetan Buddhists, aaO., 9.

[5] Tibet und Buddhismus Bd. 11, Heft 41, April/Juni 1997, 36-37.

[6] G. Schopen, Two Problems in the History of Indian Buddhism: The Layman/Monk Distinction and the Doctrines of the Transference of Merit, Studien zur Indologie und Iranistik (Hrsg. G. Buddruss, O.v. Hinüber u.a.) Heft 10, Reinbek 1985, 9-47. Siehe auch Schopen 1987.

[7] J.P. Keenan, The Meaning of Christ. A Mahayana Theology, Maryknoll: Orbis 1989, 183. Im chinesischen, tibetischen und japanischen Buddhismus wurde aber auf dieser Grundlage eine Unterscheidung eingeführt, die auf T'an-luan (467-542) zurückgeht: dharmakaya war der Begriff für die absolute Wirklichkeit (jap. hossho hosshin), gleichzeitig aber ein geschicktes Mittel) (upaya, jap. hoben) für die Gestaltung des Formlosen (jap. hoben hosshin) Auf diese Weise konnte der dharmakaya erkennbar werden in der personalen Symbolisierung der formlosen Absoluten Wirklichkeit.

[8] Das ist der Fall, wenn dharmakaya nicht einfach mit shunyata identifiziert wird. Aber selbst dann sind der dharmakaya als unwandelbare Ganzheit und seine Erkenntnis in einem Akt des Bewußtseins unterschieden und doch vereint in einem Begriff – genau dies ist die Bedeutung der späteren Unterscheidung von svabhakaya and jnanakaya, die für die Dialektik im Tibetischen Buddhismus wichtig ist.

[9] R. Ray, Some Aspects of the Tulku Tradition in Tibet in: The Tibet Journal Vol XI/4, 1986, 41.

[10] Andere Linien wie z.B. Drikung ('bri khung) beanspruchen ebenfalls, der Ursprung des Tulku-Systems reinkarnierter Linien zu sein. (Richardson 1958:139) Es ist bedeutsam, daß diese Karmapa-Linie mit den alten Königen von Tibet verbunden ist, dokumentiert durch eine berühmte Steinsäule, die nach Tsurphu gebracht wurde. Die Einzelheiten sind aber nicht ganz klar. (Richardson 1958: 141)

[11] Ray meint, daß das Konzept des Tulku und der göttlichen Königtums in Tibet von Anfang an miteinander in Beziehung standen. (Ray: 42)

[12] Quellen sind die Rin chen gter mdzod-Tradition (Rinchen Terzöd), der Bstan srung rgya mtsho'i rnam thar (Biographien der Dharma-Beschützer) von Jedrung Zhepey Dorje, und die Sekundärquellen von Nebesky-Wojkowitz 1993 and Ladrang Kalsang 1996.

[11] Nebesky-Wojkowitz (1993, p IX) meint, daß selbst Lamas derselben Schule »very often disagree in their explanations of the more complicated religious theories or in the translation of obscure passages in Tibetan works.«

[12] Der Kult lokaler Schutzgottheiten war bereits zur Zeit des Mahaparinirvana-Sutra populär, denn in diesem Text wird diese Praxis ausdrücklich gerechtfertigt. (Klimkeit: 144)

[13] Nebesky-Wojkowitz (1993, p IX) meint, daß selbst Lamas derselben Schule »very often disagree in their explanations of the more complicated religious theories or in the translation of obscure passages in Tibetan works.«

[14] Der Kult lokaler Schutzgottheiten war bereits zur Zeit des Mahaparinirvana-Sutra populär, denn in diesem
Text wird diese Praxis ausdrücklich gerechtfertigt. (Klimkeit: 144)

[15] Das ist der Grund für die Geheimhaltung von Initiationen. Sie fordern Extremes auf beiden Seiten. Die Gottheit verspricht ihren Schutz; und derjenige, der die Erlaubnis zum Umgang mit dieser Gottheit empfängt, verspricht unbedingten Gehorsam und die Einhaltung aller Gelübde. Deshalb kann es gefährlich sein, eine Initiation zu empfangen, wenn man nicht angemessen vorbereitet ist. Heute Jedoch hat sich diese Praxis zum Teil verändert. Initiationen werden sogar in der Öffentlichkeit gegeben, so daß die Initiationen oft auf einen mehr oder weniger wirkungsvollen Segen reduziert werden.

[16] Desi Sangey Gyatso, Suppl. to the Autobiography of the Fifth Dalai Lama (Gong sa lnga pa'i rang rnam gyi kha skong), zit. bei Ladrang Kalsang 1996, 28.

[17] Diese Klassifizierung stammt von Trijang Rinpoche, der sie von Phabongkhapa übernommen hat. Trijang Rinpoche. Dge lden bstan pa bsrung b'ai lha mchog sprul p'ai chos rgyal chen po rdo rje shugs ldan … (Kommentar zu Phabongkhapas Lobpreis an Shugden), The Collected Works Bd. 4, New Delhi 1978, 122-123.

[18] Einiges Material dazu ist gesammelt in; Kashag (ed.), Dolgyal gyi jungrim (Historical Development of Dolgyal), Dharamsala 1996 (Manuskript)

[19] Teile davon (bzw. nur einige Hinweise) finden sich in der Autobiographie des 5. Dalai Lama, die Angelegenheit wird aber nacherzählt von Trijang Rinpoche und anderen, erneut auch von Nebesky-Wojkowitz, aaO., 134-135.

[20] Vgl. Losang Gyatso, Shugs ldan gyi skor gsal bsha'i gsum pa. (3. Klarstellungen hinsichtlich Shugden), Dharamsala (Manuskript, Buddhist School of Dialectis), 2.

[21] Dieses Detail wird auch über andere srung ma berichtet: Der Geist, der von einem Medium in Trance Besitz ergriffen hat, macht ein gurgelndes Geräusch, von dem man meint, daß es mit der einstmaligen Erstickung dieses Geistes zusammenhinge. Der Ursprung solcher Geschichten ist noch nicht bekannt. Über eine entsprechende orale Tradition berichtet J.P. Rock anläßlich einer Expedition im Jahr 1928. (Rock 1935: 475)

[22] In einem Brief an die Assembly of Tibetan Peoples Deputies erklärt das gegenwärtige Oberhaupt der Sakyapa, Sakya Thrizin, daß Shugden in der Sakya-Tradition als niedere Schutzgottheit von Einzelnen durchaus verehrt worden sei, nicht aber von Sakya-Institutionen, (Sakya Thrinzin, Letter to the Accembly of Tibetan Peoples Deputies, June 15 1996, Archives of ATPD, Gangchen Kyishong, Dharamsala (Tibet.)

[23] Der historische Ursprung von Shugden bleibt also unklar Da Shugden auch unter dem Namen Dolgyal bekannt ist, liegt die Vermutung nahe, daß eine Verbindung zwischen ihm und Dol besteht, wo eine machtvolle Gottheit im Gefolge des Vier-Gesichtigen-Mahakala zur Zeit Kunga Wangchuks (ca. 1430) erwähnt wird. Ein Alptraum des 2. Dalai Lama wurde ebenfalls mit dieser Gottheit In Beziehung gebracht. All diese Verbindungen sind jedoch ohne klare historische Evidenz.

[24] Losang Gyatso bezieht sich auf die gesammelten Werke von Phabongkhapa und kritisiert, daß er Shugden als große Gottheit und Emanation des Buddha behandelt, aber gleichzeitig erwähnt, daß man ihn als niederen Geist betrachten könne, der aufgrund seines üblen karman Unheil stifte. (Lobsang Gyatso: 5)

[25] Der mongolische Meister Losang Tayang nennt als Autor Sakya Dakchen Ngawang Kunga Lhodro; Trijang Rinpoche hingegen meint, daß der ursprüngliche Text von Sonam Rinchen verfaßt, aber von dessen Sohn Kunga Lhodro ediert und korrigiert worden sei.

[26] Diese Information wurde mir von Mr. Losang Shastri, Library of Tibetan Works and Archives, Dharamsala, Oct 1996, gegeben.

[27] Morchen Kunga Lhundup, Lam de cha pa, S. 577ff. (Library of Tibetan Works and Archives, Dharamsala)

[28] Der Titel lautet: Bstan srung chen po btsan rgod yam shud dmar po gtso 'khor gyi bskang chog dngos grub bdud rtsi 'khyli b'ai rin chen bum bzang (»Kostbares Gefäß, das den Nektar der Vollkommenheiten (siddhi) enthält … das wunscherfüllende Ritual des großen Dharma-Beschützers«).

[29] Der vollständige Titel des Textet tautet: 'Jam mgon rgyal ba gnyis p'ai bstan bsrung thun mong ma yin pa rgyal chen rdo rje shugs ldan rtsal gyi chos skor be bum du bsgrigs p'ai dkar chags gnam lcags 'khor lo'i mu 'khyud phrin las 'od bar. (Library of Tibetan Works and Archives Acc.No. 614, S. 391ff.).

[30] Der volle Titel lautet: Dpal stag phu'l gsan chos rgya can bcu gsum gyi smin byed dbang chog chu 'babs su bkod pa don gnis 'bras bus brjid pa'i yons 'du'i dhang po, gedruckt nach Blockdrucken von 1935 vom Lha klu House in Lhasa, New Delhi 1979.

[31] Phabongkhapa, 'Jam mgon bstan srung thu bo rdo rje shugs ldan gyi srog dbang dzab mo'i byim rlab rin chen dbang po 'dren p'ai yid ches nor bu'i shing rta in: Collected Works Vol 7, Delhi o..J. (Library of Tibetan Works and Archives Acc. No. 457, Acc. 1622, S 498ff.)

[32] Er bezieht sich auf einen verlorenen Text von Lama Rinchen Wangyal.

[33] Jedoch gibt es Evidenz, daß srog gtad oder rjes gnang praktiziert wird auch hinsichtlich anderer Dharma-Beschützer. Shugden scheint also nicht eine totale Ausnahme zu sein.

[34] Der volle Titel der Biographie: Rigs dang dkyil 'khor rga mtsho 'i khyab bdag heruka dpal ngur smrig gar ralskyabs gchig pha bongkha pa bde chen snying po dpal bzang po'i rnam thar pa don ldan tshangs p'ai dbyangs snyan (Die bedeutungsvolle Befreiung nach Brahma's Stimme, Lebensgeschichte des Herrn Phabongkhapa Dechen Nyingpo, die Seelenzuflucht an der Wohnstätte des Heruka, des universalen Herren aller Heruka Gruppen und ihrer Mandalas), Phabongkhapa, Collected Works Vol. 14, Lhasa edition, Library of Tibetan Works and Archives, Dharamsala, Acc. 1622.

[35] Phabongkhapa, 'Jam mgon bstan srung thu bo rdo rje shugs ldan gyi srog dbang dzab mo'i byin rlab rin chen dbang po 'dren p'ai yid ches nor bu'i shing rta, in: Collected Works Vol 7, Delhi o..J. (Library of Tibetan Works and Archives Acc. No. 457, Acc. 1622, S. 498ff)

[36] Voller Titel: Dge ldan bstan pa bsrung b'ai lha mchog sprul p'ai chos rgyal chen po rdo rje shugs lden rtsal gyi gsang gsum rmad du byung b'ai rtogs pa briod p'ai gtam du bya ba (dam can rgya mtsho dgyes p'ai rol mo) (Dharma-Beschützer Gadens, höchste Gottheit. Manifestation der Gottheit Dorje Shugden …) publiziert von Lama Gurudeva, Trijang Rinpoche, The Collected Works Vol. 4, New Delhi 1978, 98ff. (Library of Tibetan Works and Archives Acc. No. 840).

[37] Trijang Rinpoche, Dge ldan bstan pa bsrung, aaO., 98

[38] Trijang Rinpoche, aaO., 98-99.

[39] Trijang Rinpoche, aaO., 115.

[40] Trijang Rinpoche, aaO., 122 ff.

[41] Dalai Lama 1984: 200-225.

[42] Dalai Lama, Gong sa skyabs mgon chen po mchog nas chos skyong bstan phyogs skor bk'a slob snga rjes bstsal pa khag cha tshang phyogs bsdebs zhus pa (Vollständige Sammlung von Äußerungen SH des Dalai Lama bezüglich des Vertrauens in Dhammapalas), Dharamsala: Sherig Parkhang (Publ.) 1996.

[43] Aussage in einem persönlichen Gespräch mit dem Autor am 19. Oktober 1996 in der Residenz des Dalai Lama
in Dhararamsala

[44] Dalai Lama, zitiert in: Principal Points of the Kashag's Statement conceming Dolgyal. The Tibet Bureau, Geneva 1996, 3.

[45] Dalai Lama 1984: 200-225

[46] Brief an alle Tibet Support Groups von der Dorje Shugden Devotees Religious and Charitable Society, New Delhi, Nov 1996 (Archives of the Private Office of H.H. the Dalai Lama, Dharamsala). Der Brief drückt „a great deal of anguish among a large number of Tibetans and the followers of several prominent Lamas who spread the Dharma to thousands of non-Tibetans around the world“, aus, denn das Verbot der Shugden-Praxis „is forcing almost all of the Gelukpa Lamas who have spread the Dharma to the West to break their vow and commtiment to either to His Holiness or to their root Guru, who is also the root Guru of His Holiness, Kyabje Trijang Rinpoche.“

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Literatur

Bleichsteiner, Robert, Die Gelbe Kirche, Wien: Josef Belf 1937

von Brück, Michael and Regina, Die Welt des Tibetischen Buddhismus, München: Kösel 1996

Dalai Lama, Kindness, Clarity and Insight, Ithaca Snow Lion 1984

Dalai Lama, Gong sa skyabs mgon chen po mchog nas chos skyong bstan phyogs skor bk'a slob snga rjes bstsal pa khag cha tshang phyogs bsdebs zhus pa (Vollständige Sammlung von Äußerungen S.H. des Dalai Lama bezüglich des Vertrauens in Dharmapalas), Dharamsala: Sherig Parkhang (Publ.) 1996

Dharma Losang Dorje, Rigs dang dkyil 'khor rga mtsho'i khyab bdag heruka dpal ngur smrig gar rol skyabs gchig pha bong kha pa bde chen snying po dpal bzang po'i rnam thar pa don ldan tshangs p'ai dbyangs snyan (Lebensgeschichte des Phabongkhapa), Phabongkhapa, Collected Works Vol. 14, Lhasa edition, Library of Tibetan Works and Archives, Dharamsala, Acc. 1622

Ekvall, Robert B., Three Categories of Inmates within Tibetan Monasteries: Status and Function, in Central Asiatic Journal Vol.5/1 1959, Wiesbaden: Harrassowitz 1959, 206ff

Klimkeit, Hans-Joachim, Der Buddha. Leben und Lehre, Stuttgart: Kohlhammer 1990

Ladrang Kalsang, The Guardian Deities of Tibet, Dharamsala: Little Lhasa Publ. 1996

Losang Gyatso, Shugs ldan gyi skor gsal bsha'i gsum pa (Aufklärungen über Shugden), Dharamsala 1996

Losang Tayang, 'Jam mgon rgyal ba gnyis p'ai bstan bsrung thun mong ma yin pa rgyal chen rdo rje shugs ldan rtsal gyi chos skor be bum du bsgrigs p'ai dkar chags gnam lcags 'khor lo'i 'mu 'khyud phrin las 'od bar (Dharamsala: Library of Tibetan Works and Archives Acc.No. 614)

Mumford, Stan Royal, Himalayan Dialogue. Tibetan Lamas and Gurung Shamans in Nepal. Kathmandu: Tiwari 1990

Nebesky-Wojkowitz, R. de N., Oracles and Demons of Tibet, Kathmandu: Tiwari 1993

Phabogkhapa, Collected Works Vol. 7 and 14, Lhasa edition, Library of Tibetan Works and Archives, Dharamsala

Ray, Reginald, Some Aspects of the Tulku Tradition in Tibet in: The Tibet Journal Vol. XI/4, 1986

Richardson, H.E., The Karma-pa Sect A Historical Note, in: Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland, Part 1, London 1958, 140-164

Rock, Josoph F., Sungmas, the Living Oracles of the Tibetan Church, in The National Geographic Magazine Vol. 68,4, Washington Oct 1935

Schopen, Gregory, Two Problems in the History of Indian Buddhism: The Layman/Monk Distinction  and the Doctrines of the Transference of Merit, Studien zur Indologie und Iranistik (Hrsg. G. Buddruss, O. v. Hinüber u.a.) Heft 10, Reinbek 1985, 9ff.

Schopen, Gregory, Burial 'ad sanctos' and the Physical Presence of the Buddha in Early Indian Buddhism, in: Religion 17, 1987, 193-225

Schulemann, Günther, Geschichte der Dalai Lamas, Leipzig: Harrassowitz 1958

Stein, R.A., Tibetan Civilization, Stanford: Stanford Univ. Press 1972

Trijang Rinpoche, Dge lden bstan pa bsrung b'ai lha mchog sprul p'ai chos rgyal chen po rdo rje shugs ldan … (Kommentar zu Phabongkhapas Hymne an Shugden), The Collected Works Bd. 4, New Delhi 1978

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Ornament

MICHAEL VON BRÜCK ist Professor für Religionswissenschaft an der Ludwig Maximilians-Universität München (LMU).

© Prof. Dr. Michael von Brück

Institut für Religionswissenschaft,
Ludwig-Maximilians-Universität München, 1998,
2. überarbeitete Auflage.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Die Forschungsarbeit als PDF-Datei: Streit um Shugden – Analyse einer tibetischen Kontroverse. (Sanskrit- und Pali-Umlaute sind im Original, nicht aber in dieser Online-Version vorhanden.)

Dieser Text wurde im Wesentlichen in Michael von Brück: Religion und Politik im Tibetischen Buddhismus. Kösel Verlag, München 1999, Seiten 158-210, ISBN 3466204453 und leicht verändert in Charisma and Canon: Essays on the Religious History of the Indian Subcontinent Edited by Vasudha Dalmia, Angelika Malinar, and Martin Christof. New Delhi: Oxford University Press, 2001, pp. 328-49, ISBN-13: 978-0195666205 veröffentlicht.

Weiteres zu Dorje Shugden (Dolgyal)¹

englischsprachige Dokumente/Dokumentationen:


¹ Der Name Dolgyal ist eine Zusammensetzung aus den tibetischen Wörtern Dol, ein Ort in Südtibet, und der Abkürzung des Wortes Gyalpo, was ‚königlicher Dämon‘ oder ‚Königsgeist‘ bedeutet. Damit ist die Bedeutung von Dolgyal in etwa ‚der Königsgeist, der in der Gegend von Dol weilt‘. Der Name Dolgyal wird u.a. auch von Trijang Rinpoche, Pabongkha Rinpoche und in Sakya Texten für Dorje Shugden verwendet.

² Diese englischsprachige Filmdokumentation, Dorje Shugden, The Spirit and the Controversy, beleuchtet etwas ausführlicher den komplexen Hintergrund der Dorje-Shugden-Kontroverse aus Sicht der Tibetischen Exilregierung und der Mehrheit der Tibeter. Sie bietet u.a. Interviews zur Shugden-Thematik mit anerkannten Würdenträgern des indo-tibetischen Buddhismus, wie S.H. dem XIV. Dalai Lama (Gelug), S.H. dem 100. Ganden Tripa (Oberhaupt des Gelugpa Ordens), Kyabje Lati Rinpoche (Gelug), S.H. Mindrolling Trichen Rinpoche (Oberhaupt der Nyingma-Tradition), Kyabje Trulshik Rinpoche (Nyingma), S.H. Sakya Trizin (Oberhaupt der Sakya-Tradition), S.E. Tai Situ Rinpoche (Kagyu). Diese Dokumentation stand mehrere Jahre auf der offiziellen Website des Dalai Lama zur Verfügung – zuletzt unter diesem Link: http://dalailama.com/messages/dolgyal-shugden/documentary-film. Die englischsprachige Dokumentation ist eine verkürzte Ausgabe einer zwei Stunden Fassung in Tibetisch.