›Orientalismus‹ und Aspekte der Gewalt in der tibetischen Tradition¹

Elliot Sperling
Institut für zentral-eurasische Studien
Indiana Universität

In seiner Autobiographie beschrieb der 5. Dalai Lama das Drachenjahr 1640/41 als ein Jahr voller beunruhigender Ereignisse. Angesichts der noch ungesicherten politischen Stellung der Gelugpa-Sekte sah er die Schwierigkeiten, denen seine Sekte in der Region Tsang ausgesetzt war, als ausgesprochen ominös an. Der Dalai Lama hielt fest, daß der Herrscher dieser Region, der Tsangpa Desi, im Tigerjahr 1638/39 dem Kloster Tashilhunpo große Schwierigkeiten machte. Man sprach davon, der Panchen Lama, das Oberhaupt des Klosters, sei müde und zermürbt und beklage den gegenwärtigen Zustand. Zahlreiche Gerüchte über die Situation waren entstanden; Reisende in die Tsongön-Region im äußersten Nordosten des tibetischen Plateaus berichteten alles, was sie gesehen und erlebt hatten, dem Führer der Khoshot-Mongolen, Gushri Khan, dem mächtigsten unter den Patronen und Unterstützern des Dalai Lama und der Gelugpas. Gushri Khan war äußerst aufgebracht. Plötzlich, so berichtet der Dalai Lama, kam die Nachricht, Gushri Khan sei auf dem Weg nach Zentraltibet, habe aber den Weg über Beri in Kham eingeschlagen, wo die Gelugpas ebenfalls auf Widerstand seitens des lokalen Herrschers gestoßen waren.² Offensichtlich lag also eine militärische Reaktion auf die Probleme, die den Gelugpas bereitet wurden, in der Luft.

Im Sommer traf eine größere Zahl von Mongolen aus Kham in der Region um Lhasa ein. Sidi Batur, ein Offizier Gushri Khans, brachte einen Brief des Mongolenherrschers und sprach mit dem Dalai Lama, welcher in seiner Autobiographie schrieb:

Ich stellte fest: Das Festhalten an der besonderen Tugend, die einen Bodhisattva auszeichnet, d.h. an sich und an andere in gleichem Maße zu denken, hat den Konflikt nicht ferngehalten. So würde, selbst wenn wir [weiterhin] entsprechend diesem Anspruch handeln würden, daraus nichts anderes als Schande hervorkommen.³

Weiterhin sagte er mit Bezug auf die Taten des Tsangpa:

Selbst wenn wir Rache üben würden, würde ich, der letzte derer von Tschongyä, der Kleriker, der den Sitz des Allwissenden innehat, nicht [als] ungehorsamer Mönch erscheinen.⁴

Darauf gab der Dalai Lama den Befehl, daß Beri zerstört, und der Konflikt (d.h. die Opposition) nicht toleriert werden solle.

Ein anderes Ereignis wirft weiteres Licht auf das Denken des 5. Dalai Lama in Bezug auf den Gebrauch militärischer Gewalt zur Sicherung der Interessen seiner Regierung und seiner Sekte. Zu Beginn des Jahres 1660 sah er sich mit einer Situation konfrontiert, die er selbst als chaotische Unruhen bezeichnete und als Resultat einer Rebellion seiner Untertanen in Tsang ansah. Geltend machend, daß er zum Wohl der Wesen im Gebiet von Nyangmä handele, sandte er direkte, eindeutige Instruktionen aus:

[Von denjenigen in] der Feindesbande, die mit den ihnen anvertrauten Pflichten Schindluder getrieben haben:
Man mache die männlichen Linien wie Bäume, deren Wurzeln abgeschnitten wurden;
Man mache die weiblichen Linien wie Bäche, die im Winter ausgetrocknet sind;
Man mache die Kinder und Enkelkinder wie Eier, die gegen Felsen geschmettert wurden;
Man mache die Diener und Anhänger wie Haufen von Gras, die vom Feuer verzehrt werden;
Man mache ihre Herrschaft wie eine Lampe, deren Öl erschöpft ist; Kurz, man vernichte jede Spur von ihnen, selbst ihre Namen.⁵

Mit eigener Hand beschrieb der 5. Dalai Lama seine Rolle in den gerade beschriebenen Ereignissen. Im ersteren Fall autorisierte er ganz offen die Aktivitäten Gushri Khans, der durch seinen Feldzug den Ganden Phodrang⁶ zum unbestrittenen Zentrum der Autorität in Tibet machte. Im zweiten Fall zeigten seine Anweisungen die unzweideutige Absicht, heftigste militärische Vergeltungsmaßnahmen gegenüber denjenigen zu ergreifen, die sich gegen seine Herrschaft erhoben hatten. Man kann getrost behaupten, daß der 5. Dalai Lama nicht dem Standardbild entspricht, das viele Menschen heute von einem Dalai Lama haben, und insbesondere nicht dem Image eines Friedensnobelpreisträgers.

Diese letzten Bemerkungen habe ich absichtlich provokativ ausgedrückt, um zu betonen, daß man nicht einfach die Taten und Normen verschiedener Zeiten miteinander vermengen kann. Daß das nicht geht, ist eigentlich offensichtlich, dennoch wird es ständig getan. Immer wieder kann man beobachten, wie aus Voreingenommenheit bei der Beschäftigung mit historischen Persönlichkeiten aus vergangenen Jahrhunderten Themen wie Menschenrechte, Demokratie, etc., die sicherlich nicht zur intellektuellen Atmosphäre der jeweiligen Zeit gehörten, eingebracht werden.⁷ Das Ziel ist meist, die betreffende Person heftig zu kritisieren, doch es kommt zuweilen ebenso vor, daß die unterschiedlichsten Argumentationslinien aufgebaut werden, um zu beweisen, daß diese oder jene historische Persönlichkeit, Institution oder staatliche Organisation tatsächlich den Standards unserer eigenen Zeit entsprach (wobei die in Frage stehenden Werte und Normen häufig implizit als positiv und bewundernswert gesehen werden). Deshalb habe ich oben das Verhalten des 5. Dalai Lama dem Image des Friedensnobelpreisträgers gegenüber gestellt, denn man findet in der Tat moderne Autoren, die zeitgenössische, mit dem gegenwärtigen Dalai Lama verbundene Vorstellungen von Gewaltlosigkeit auf seine Vorgänger zurück projizieren. Dadurch entsteht der Eindruck, Gewaltlosigkeit der von Gandhi propagierten Art sei eines der Markenzeichen des tibetischen Buddhismus ini allgemeinen, d.h. nicht nur auf religiösem und philosophischem, sondern auch auf politischem Gebiet.⁸

Ich möchte hier bitte nicht mißverstanden werden: Güte und Mitgefühl gegenüber den fühlenden Wesen sind ebenso ein bedeutender Bestandteil des tibetischen Buddhismus wie die Vorstellung, zum Wohle der fühlenden Wesen tätig zu sein. Das ist allerdings nicht identisch mit der Gandhischen Vorstellung von ahimsa, und genausowenig ist damit die ganze praktische Seite des tibetischen Buddhismus abgedeckt. Unter den buddhistischen Ideen, die eine Rolle in der politischen Geschichte Tibets gespielt haben, findet man auch die Vorstellung vom Schutz der Lehre. Dieser Gedanke und die Methoden zu seiner Realisierung haben tatsächlich ganz wesentlich dazu beigetragen, den tibetischen Buddhismus zuerst bei den Tangutenkaisern, dann bei den Mongolen und schließlich bei chinesischen und Mandschu-Herrschern zu einem einflußreichen Machtfaktor von internationaler Bedeutung zu machen. Aus dieser Sicht war der tibetische Buddhismus ein Mittel zur Machterlangung – sicherlich, um die Lehre zu verteidigen und zu verbreiten. Eindeutig in diesem Sinne wurde er von Zhang Rinpoche (1123/24–1193/94) verwendet, dessen Schüler in seinem Namen Krieg führten und mitten in der Schlacht religiöse Visionen gehabt haben sollen.⁹ Chinesische Autoren der Yüan-Dynastie berichteten, daß, als die Armeen Kubilai Khans in Südchina einfielen, über ihnen im Himmel Mahakala erschienen sei, was als Ergebnis der Beschwörungsrituale des Sakyapa-Geistlichen Anyen Dampa angesehen wurde.¹⁰

Trotz dieser Tatsachen kann man allenthalben Beschreibungen des tibetischen Buddhismus finden, in denen die Ansichten des gegenwärtigen Dalai Lama zur Gewaltlosigkeit – bezeichnenderweise mit dem Gandhischen Terminus ahimsa bezeichnet – als ein buddhistischer Wert dargestellt werden, der die tibetische politische Geschichte und die Institution der Dalai Lamas seit Jahrhunderten dominiert haben soll. So entstehen vereinfachte Darstellungen von der Übernahme des tibetischen Buddhismus durch die Mongolen im 13. Jahrhundert, die diesen gesamten Prozeß darauf zurückführen, daß sich die Mongolenherrscher von der buddhistischen Morallehre angezogen gefühlt hätten – eine eher fragwürdige Lesart der tatsächlichen Geschehnisse. Das soll nicht heißen, daß Moral nicht ein Teil des tibetischen Buddhismus sei, aber das, was wir so oft über die Konvertierung der Mongolen erzählt bekommen, ist einfach falsch. Vom 5. Dalai Lama heißt es, er habe vier Jahrhunderte später durch seine charismatischen buddhistischen Lehrreden die Befriedung der Mongolen zuwegegebracht; hinter solchen Darstellungen verbirgt sich die Tatsache, daß den militanten Eroberungsbestrebungen der Mongolen nur durch den hohen Blutzoll Einhalt geboten werden konnte, der den Dzungar-Mongolen im 18. Jahrhundert von den Armeen des Mandschu-Kaisers Qianlong abverlangt wurde. Letzteren haben die Tibeter übrigens schon zu seinen Lebzeiten als Emanation des Mandschushri verehrt.¹¹ Mit solchen Lesarten der tibetischen Geschichte soll offensichtlich eine historische Tradition hinter den Ansichten des gegenwärtigen Dalai Lama über die hervorragende Bedeutung von ahimsa konstruiert werden.¹²

Warum besteht überhaupt ein Grund, solche Traditionen zu entwickeln? Angesichts der heute kursierenden Vorstellungen und Erwartungen läßt sich sehr leicht erkennen, wie nützlich es sein kann, den tibetischen Buddhismus als ewigen Hort von Lehren zu Gewaltlosigkeit und Frieden darzustellen. Doch der tibetische Buddhismus und auch der Dalai Lama sind in und von dieser Welt, und es gibt einige Strömungen in den Gedanken und Vorstellungen der letzten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts, die diese (wie auch deren Wahrnehmung) bis zu einem gewissen Grad beeinflußt haben. Der Buddhismus wie der Dalai Lama haben sich nicht außerhalb von oder gar über dem Rest der Welt aufgehalten, Die Ansichten des gegenwärtigen Dalai Lama zur Gewaltlosigkeit können, so lobenswert sie auch sein mögen, nicht einfach einer weitgehend unveränderten, Jahrhunderte alten Tradition zugeschrieben werden.

Um dies klarer zu erläutern, muß ich ein wenig weiter auszuholen. Gegen Ende der 70er Jahre schuf Edward Said mit seinem mittlerweiìe berühmten Buch Orientalism eine Art kleiner Sensation in etlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Said behauptete, daß der Westen einen ›Orient‹ konstruiert habe, einen weitgehend imaginären Bereich, dessen Konstruktion als gewalttätiges, sinnliches ›Anderes‹ mit dem Kolonialismus einhergehen sollte und diesen auf der Basis der Stereotypen, mittels derer die entsprechenden Länder und Völker zu einem solchen objektivierten ›Anderen‹ gemacht wurden, rechtfertigte. Für schuldig befunden in diesem orientalistischen Unternehmen wurden nicht nur Romanautoren und Kolonialbeamte, sondern so ziemlich jeder auch nur entfernt Beteiligte, inklusive der Philologen, Archäologen, usw.¹³ Diese Darstellung wurde von Simon Leys in einer Kritik vernichtend parodiert, wo er den Punkt akzeptierte, daß jeder Mensch in gewissem Maße durch seine oder ihre Umwelt beeinflußt wird, und dann damit fortfuhr, mittels der gleichen reduktiven Methodologie der ›Schuld durch Zugehörigkeit‹ Saids Konstruktion des Orientalismus zu erklären.¹⁴

Der springende Punkt ist natürlich, daß man zwar verschiedenen Einflüssen unterliegt, diese aber auf unterschiedlichste und oftmals widersprüchliche Weise verstanden werden können und nicht immer die Bedeutung haben, die Said ihnen auf der individuellen Ebene stets zuschreibt. Zweifellos werden Menschen von (negativen wie positiven) Vorurteilen und Klischees gelenkt, aber die Art, wie sich diese in einem bestimmten Individuum manifestieren, kann nicht einfach nur auf dessen soziale Schicht, Nationalität, etc. zurückgeführt werden. Folglich ist die Kritik stereotyper Bilder Asiens, die in der Orientalismusdebatte zutage trat, in vielerlei Hinsicht das Ergebnis einer breit angelegten Dekontextualisierung, und die nicht-westlichen Vorläufer dieser Stereotypen, einschließlich der von Tibet, werden völlig ignoriert.¹⁵ Dabei ist z.B. das eine oder andere Klischee, das in China über Tibet oder Zentralasien verbreitet wird, weithin bekannt.¹⁶ Neben den üblichen ›Barbaren‹-Geschichten bestand während der Ming- und Qing-Dynastien eine höchst interessante Vorstellung über den Tee und dessen Macht über Tibeter und Mongolen, auf deren Basis chinesische Politiker vorschlugen, man könne diese Völker kontrollieren, indem man den Export chinesischen Tees in deren Gebiete verhindere.¹⁷  Dieser Gedanke fand später einen Niederschlag in den außenpolitischen Beziehungen mit den britischen ›Anderen‹ im späten 18. Jahrhundert, als behauptet wurde, die Briten geraten in höchste Schwierigkeiten, wenn sie nur einige Tage ohne chinesischen Tee und Rhabarber existieren müßten.¹⁸ Kann man das ›Okzidentalismus‹ nennen?

Die im Entstehen begriffene anti-orientalistische Argumentation umfaßt schließlich Kritiken und Angriffe auf angebliche Verfechter sowohl negativer (schmutzig, grausam, arm, unehrlich, etc.) wie auch positiver Orient-Klischees (spirituell, fleißig, edel, naturverbunden, ›ökologisch‹, etc.). Die letzteren Bilder stellen natürlich die romantisierte Version des Orients dar, und obwohl sie als positive Klischees angesehen werden, hält man sie dennoch für vor allem auf psychologischen Bedürfnissen des Westens aufgebaute Konstruktionen. Einige Jahre lang hatte die folgende Grundstruktur der anti-orientalistischen Argumentation Bestand: Der ›Orient‹ ist eine westliche Konstruktion, die dazu dient, koloniale oder westliche psychologische Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Vorstellung hat selbst in die westliche Sicht von Tibet Eingang gefunden.¹⁹

In einem interessanten Aufsatz aus dem Jahre 1993 schrieb Amartya Sen über Indien:

Wenn man sich nicht gerade auf die Entwicklung einer spezifischen konzeptuellen Tradition konzentriert … ist es ausgesprochen schwierig, irgendeine Form von ›innerer Konsistenz‹ [die Said als Grundlage ›orientalistischer‹ Bilder postulierte] innerhalb der Vielzahl westlicher Konzepte von – in diesem Fall – Indien zu finden. Es gibt nämlich etliche grundsätzlich verschiedene Indienbilder, die auch jeweils getrennte Rollen im Verständnis des Westens von diesem Land und auch in ihrem Einfluß auf die Selbstwahrnehmung der Inder spielen.²⁰

Es versteht sich von selbst, daß es bei uns eine ganze Reihe von Orient-Klischees gibt; ihre Vielzahl und ihre jeweilige Rolle kann jedoch nicht, wie dies die ›Anti-Orientalisten‹ tun möchten, vereinfacht und problemlos zugeteilt werden. Wie Sen klarstellt, haben sowohl negative wie auch positive Klischees daran mitgewirkt, die derzeitigen Vorstellungen von Indien im Westen wie anderswo, auch in Indien selbst, zu prägen. Tatsächlich wächst derzeit die Einsicht, daß angeblich ›westliche‹ Klischees und Images über Asien wesentlich weiter verbreitet sind, als ursprünglich angenommen. Hier stellt sich nicht die Frage, ob diese stereotypen Vorstellungen überhaupt als solche existieren, oder ob sie einen Einfluß auf die Wahrnehmung eines Volkes von einem anderen oder auf die Selbstwahrnehmung von Menschen ausüben. Wichtig ist vielmehr, ob man sie in dieser reduktionistischen, deterministischen Art verstehen muß, die in vielen Publikationen darüber zu Tage tritt.

Das bringt uns zu unserem eigentlichen Thema zurück, nämlich der Vorstellung von den Dalai Lamas als einzigartigen Männern des Friedens, der Liebe und des Mitgefühls. Ich brauche hier nicht noch zu betonen, daß es eine Vielzahl von Klischees über Tibet gibt, doch wie im Falle Indiens können auch diese nicht länger einfach als westliche Konstruktionen abgetan werden. Sie spielen heute eine wesentliche Rolle in der tibetischen Darstellung Tibets – vor allem unter Exiltibetern. Dies ist vielleicht die natürliche Folge der Teilnahme von Tibetern an den intellektuellen, politischen und anderen Aspekten des modernen internationalen Lebens. Es ist sozusagen eine Assimilierung von Ansichten, die in der heutigen Welt als legitim und gültig betrachtet werden, Ansichten, die geradezu dürsten nach einem abgeschlossenen, fernab gelegenen Gebiet, wo Menschen sich einzig und allein mit spirituellen Dingen beschäftigen und weder Konflikt noch Zwietracht kennen. Allerdings sind solche Klischees (bei aller Achtung vor den Anti-Orientalisten) nicht allein westlich oder auch nur allein zeitgenössisch. Beginnend mit, sagen wir, dem Taohuayuan ji des Tao Yuanming, läßt sich eine beachtenswerte Liste von nicht-westlichen Darstellungen vergleichbarer Sehnsüchte nach verborgenen Gebieten des Friedens aufstellen.

So wird in den weitverbreiteten Darstellungen der heutigen Zeit die komplexe Mixtur von Ideen und Doktrinen des tibetischen Buddhismus oftmals (in jüngster Zeit auch durch die tibetische Exilgesellschaft selbst) zu einer besonderen Betonung von Liebe und Mitgefühl reduziert. Damit ging jedoch ein ausgewogeneres Verständnis der historischen Rolle des tibetischen Buddhismus im Bereich der Politik für die meisten Menschen verloren. Man könnte fast annehmen, daß der tibetische Buddhismus eine Art selbstmörderischer Glaube sei, eine Religion, deren Anhänger es eher akzeptieren würden, daß sie unterginge und ganz verschwände, bevor sie eine Hand zu ihrem Schutz erheben würden. Das aber war in der tibetischen Geschichte wahrlich nicht der Fall. Der 5. Dalai Lama, der den Gebrauch von militärischer Gewalt zum Schutze der Interessen der Gelugpas befürwortete, war kein Vertreter einer solchen Ansicht. (Wohlgemerkt ging es zu dessen Zeit nicht um den Erhalt des tibetischen Buddhismus insgesamt, sondern nur um Wohlergehen und Autorität des Ganden Phodrang.) Auch war das gewiß nicht der Standpunkt des 13. Dalai Lama, der bewaffnete Angriffe auf die Truppen der Qing in Lhasa aktiv befürwortete, als diese kurz vor dem Untergang der Dynastie versuchten, die Qing-Herrschaft über Tibet zu sichern.²¹ Letztendlich muß man die Reduktion des tibetischen Buddhismus, zumindest was sein modernes, internationales Image betrifft, auf eine Lehre absoluter Gewaltlosigkeit im Lichte der Aufnahme weit verbreiteter Klischees über den Osten durch die tibetische Exilgesellschaft betrachten, so wie es auch mit der Generation von Gandhi und Nehru in Indien der Fall war.

Ein ziemlich deutlicher Hinweis darauf findet sich in den beiden Autobiographien des Dalai Lama, Mein Leben und mein Volk (1962) und Das Buch der Freiheit (1990). In beiden Büchern beschreibt der Dalai Lama den Einfluß von Gandhis Leben und Philosophie auf ihn anlässlich seines Besuchs des Radschghat.²² In der späteren Darstellung schreibt er ausdrücklich, daß er nach diesem Besuch zu der Überzeugung gelangte, daß Gewaltlosigkeit der einzige gangbare politische Weg sei. In der früheren Version hingegen heißt es, er habe die feste Absicht, sich nie mit Akten der Gewalt in Verbindung bringen zu lassen. Dieses ›nicht in Verbindung bringen lassen‹ wird jedoch in weiteren Bemerkungen in beiden Autobiographien relativiert. In der zweiten erzählt der Dalai Lama von seiner Flucht und von dem Schutz, den ihm bewaffnete ›Freiheitsguerillakämpfer‹, wie er sie nennt, leisteten, von denen mindestens zwei durch die CIA ausgebildet worden waren. In der ersten Version dagegen spricht er direkt über sein Interesse und seine Sorge für diese tibetischen Soldaten:

Trotz meines Glaubens an den Weg der Gewaltlosigkeit war ich voller Bewunderung für ihren Mut und ihre Entschlossenheit, den bitteren Kampf, den sie für unsere Freiheit, unsere Kultur und unsere Religion begonnen hatten, weiterzuführen, ich dankte ihnen für die Einsatzbereitschaft der Khampas und ihren Mut, dankte ihnen auch persönlich für den Schutz, den sie mir geboten hatten. … Jetzt konnte ich ihnen nicht mehr ehrlichen Herzens raten, Gewalt zu vermeiden. Denn für den Kampf um die Freiheit hatten sie ihr Heim, hatten sie alle Freuden und alle Behaglichkeit eines friedvollen Lebens geopfert. Es gab für sie nur noch eines: weiterzukämpfen, und ich konnte ihnen keine andere Möglichkeit zeigen.²³

Während die Erwähnung Gandhis in beiden Versionen den Einfluß einer allgemeinen, modernen Haltung gegenüber dem indischen Führer belegt, die zur Zeit des Besuchs des Dalai Lama am Radschghat weltweit verbreitet war, enthüllt das Zitat aus der früheren Autobiographie eine Einstellung, die eher den traditionelleren tibetischen (und selbst tibetisch-buddhistischen) Vorstellungen zu politischer Gewalt entspricht. Hier ist noch nichts von den Einflüssen zu spüren, die den Dalai Lama dazu brachten, mit dem Rücktritt von seiner Führungsrolle zu drohen, falls die Tibeter gewaltsam gegen die Chinesen in Tibet vorgehen würden.²⁴ Es ist eigentlich unvorstellbar, daß der Dalai Lama gegenüber den Soldaten, die ihn 1959 in Sicherheit brachten, eine solche Aussage gemacht hätte.

Die Übernahme von ahimsa als oberstes Prinzip stellt im Vergleich mit den früheren Dalai Lamas und der Politik des Ganden Phodrang vielmehr eine signifikant veränderte Haltung dar. Daher ist es wahrscheinlich, daß der Dalai Lama schrittweise in diese neue Position gelangte. Ahimsa nahm erst in Indien, wo klischeehafte Vorstellungen von Asien und Indien Teil der intellektuellen Atmosphäre sind, die zentrale Stellung ein, mit der man dieses Konzept heute verbindet. Der Dalai Lama als Mensch in unserer Welt unterlag gewiß dem Einfluß dieser neuen Umgebung, wo Gewaltlosigkeit als eine der höchsten Tugenden, wenn nicht als die höchste schlechthin angesehen wurde, die ein ›orientalischer‹ Weiser entwickeln kann.

Damit will ich der Übernahme der Gewaltlosigkeit als Leitgedanken durch den Dalai Lama gewiß keine Zynik oder gar Manipulation zuschreiben. Ich möchte ihn nur als menschliches Wesen in den Lauf der Geschichte stellen und zeigen, daß auch der Dalai Lama den intellektuellen und anderen Strömungen der modernen Welt ausgesetzt ist. Es ist die Übernahme von durch Weiße und Nicht-Weiße (darunter auch Exiltibeter) gleichermaßen vertretenen Images und Klischees, die den Dalai Lama in einen konstruierten Mythos von ewigen heiligen Männern, die ewige Tugenden und ewige Wahrheiten praktizieren, gestellt hat.

Güte, Mitgefühl, Gewaltlosigkeit: All diese Tugenden haben ihren Platz im tibetischen Alltag und in der Lehre des tibetischen Buddhismus, aber bis vor ca. dreißig Jahren hatten sie niemals eine so zentrale Stellung inne wie heute. Dalai Lamas haben sicherlich auch in der Vergangenheit von Gewalt und Blutvergießen abgeraten, haben es aber auch immer wieder für nötig befunden, zur Sicherung ihrer als solche empfundenen Interessen die Anwendung von Gewalt zu billigen. Es gibt zahlreiche Beispiele für Gewaltanwendung durch tibetische Buddhisten zum Schutz und zur Verbreitung der Lehre. Dieser Aspekt des tibetischen Buddhismus, unter den auch die Ermächtigung weltlicher Herrscher fällt, die zum Schutz und zur Verbreitung der Lehre tätig sind, ist ein Teil der Geschichte Tibets und seiner Beziehungen zu den benachbarten Völkern. Man darf nicht vergessen, daß der tibetische Buddhismus nicht immer und unter allen Umständen den Gebrauch von Gewalt abgelehnt hat. Vorgänge wie die der letzten Jahre, als der Dalai Lama mit seinem Rücktritt drohte, falls die Tibeter Gewalt gegen die Chinesen anwenden sollten, haben in der Geschichte kein Vorbild. In welchem Ausmaß dies zutrifft, läßt sich daran erkennen, daß die Zeit seit der Annektierung Tibets durch die Volksrepublik China allgemein als äußerst schwerwiegende Krise für Tibet und die tibetische Zivilisation angesehen wird. Diese Krise ist weitaus gravierender als die von den Tsangpa-Herrschem und ihren Verbündeten im 17. Jahrhundert oder selbst die von der Besatzungsarmee Zhao Erfengs in Lhasa in den Jahren 1910–12 ausgehende Bedrohung, und bei diesen Gelegenheiten sahen der 5. und der 13. Dalai Lama den Gebrauch von Gewalt als gerechtfertigt an.

Ein weiterer interessanter Punkt, auf den ich an dieser Stelle hinweisen möchte, betrifft die Reaktion des 13. Dalai Lama auf einen Brief von Gandhi, in dem der indische Führer seine Hoffnung ausgedrückt hatte, daß die Tibeter alle eifrig des Buddha Lehre von ahimsa praktizieren würden, womit er unbeabsichtigt einer typisch ›orientalistischen‹ Annahme Ausdruck gab! Der Dalai Lama antwortete, daß er keine Ahnung habe, was das Wort ahimsa bedeute, er kenne es weder aus der englischen Sprache, noch als in Mantras verwendetes Wort, benötige also weitere Erläuterungen. Um Gandhis allgemeine Aktivitäten wissend, schrieb er jedoch über das buddhistische Konzept der Errettung der Wesen vom Leiden.²⁵ Nimmt man seine Taten als Richtschnur, so ist es offensichtlich, daß der Dalai Lama nicht der Ansicht war, die Ausübung von Gewalt widerspreche diesem Konzept grundsätzlich. Man kann mit Gewißheit davon ausgehen, daß er glaubte, manchmal sei der Gebrauch von Gewalt notwendig, um größeres Leid zu verhindern. Daraus würde folgen, daß die Nichtanwendung von Gewalt unter Umständen noch größere Qualen verursachen kann.

Ahimsa im Gandhischen Sinne als primärer Grundsatz des tibetischen Buddhismus ist ein neues Phänomen.'Sicherlich kann man nicht behaupten, es sei ein bedeutendes Prinzip für politische Aktivitäten bei allen früheren Dalai Lamas gewesen. Wenn man die Institution ›Dalai Lama‹ verstehen will, muß man akzeptieren, daß die Werte und politischen Verfahrensweisen der Dalai Lamas nicht von deren historischem Umfeld zu trennen sind. Allerdings muß erneut betont werden, daß es zum Verständnis bzw. zur Wahrnehmung der Funktionsweise solcher Einflüsse nicht notwendig ist, einen reduktionistischen oder ideologischen Ansatz zu verwenden.

Die Vorstellung, der Dalai Lama und die Religion des tibetischen Buddhismus wären von den Strömungen der Zeit und der Geschichte völlig unberührt geblieben, wobei der erstere schon immer allen Menschen Frieden und Gewaldosigkeit gepredigt habe, ist Teil eines unglücklicherweise immer noch fortlebenden schwärmerischen Images. Die historischen Quellen widersprechen diesem ganz eindeutig, und fortgesetzte Versuche, dieses Bild als historische Realität hinzustellen, können unser Verständnis für die vergangene und gegenwärtige tibetische Geschichte nur behindern.


Anmerkungen

¹ Eine ausführlichere Version dieses Aufsatzes wurde ursprünglich im Jahre 1994 am Amnye Machen Institute in Dharamsala vorgetragen und wird in Kürze in der Zeitschrift Lungta erscheinen.

² Ngag-dbang blo-bzang rgya-mtsho: Za-Hor-gyi ban-de Ngag-dbang blo-bzang rgya-mtsho'i 'di snang-'khrul-ba'i rol-rtsed rtogs-brjod-kyi tshul-du bkod-pa du-ku-la'i gos-bzang, Vol. 1, Lhasa 1989, S.  192.

³ A.a.O., S. 193: … rang-ngos-kyi cha bdag-gzhan mnyam-brje'i byang-chub-kyi sems dang ldan-pa'i yon-tan khyad-par-can-la brten-nas bde-gzar bshol-ba min-pas de-'dra'i o-zob byas-kyang gzhan khrel-ba-las mi-yong/

⁴ A.a.O., S. 193–194: gal-te dgra-sha blangs-kyang nga 'Phyongs-rgyas-pa'i mi-mjug [194] thams-cad mkhyen-pa'i gdan-sar bsdad-pa'i btsun-pa zhig ban-log-pa mi-'char.

⁵ rGyal-dbang lnga-pa: rGya-Bod-Hor-Sog-gi mchog-dman bar-pa-rnams-la 'phrin-yig snyan-ngag-tu bkod-pa rab-snyan rgyud-mang, Xining 1993, S. 225: gnyer-du gtad-pa'i dam-nyams dgra-tshogs-kyi/ pho-brgyud shing-sdong rtsa-ba bcad-ltar thong/ mo-brgyud dgun-gyi chu-phran skems-ltar thong/ bu-tsha sgo-nga brag-la brdabs-ltar thong/ g.yog-'khor rtsa-phung me-yis bsregs-ltar thong/ mnga'-thang snum-zad mar-me bzhin-du thong/ mdor-na ming dang rjes-tsam med-par mdzid/. Der vollständige Text des Briefes findet sich auf den Seiten 223–225.

  Anmerkung von Elliot Sperling, 04.02.2016: »Statt eine Militäraktion anzugeben, wie der ursprüngliche Artikel fälschlicherweise impliziert, war das Schreiben vom 5. Dalai Lama an eine Schutzgottheit gerichtet und ersuchte die hierin angegebenen Strafen mittels göttlicher Mittel. Ich bin Samten G. Karmay für diesen Hinweis dankbar und Sean Jones für seine anspornenden Rückfragen. ES« (»Rather than indicating military action, as the original article mistakenly implied, the missive from the 5th Dalai Lama was addressed to a protector deity and sought the punishments that are mentioned therein via divine means. I’m grateful to Samten Karmay for pointing this out and to Sean Jones for spurring further inquiry. ES«)

⁶ Sitz der Gelugpa-Regierung (Anm. d. Hg.).

⁷ Dies wird z.B. an einigen (wenn auch nicht allen) Kritiken zur 500-Jahr-Feier von Columbus' Adantiküberquerung deutlich. Vgl. Sale 1990, sowie die Besprechung dieses Buches von Wills (1990).

⁸ Die jüngste Darstellung dieser Ansichten bietet Thurman (Thurman 1995: 38–40), der vom 5. Dalai Lama sagt, er habe in Tibet eine »unilateral demilitarisierte Gesellschaft« geschaffen.

⁹ dPa'-bo gtsug-lag phreng-ba: Dam-pa'i chos-kyi 'khor-lo bsgyur-ba-rnams-kyi byung-ba gsal-byed-pa mkhas-pa'i dga'-ston, Beijing, 1986, S. 808: »… Es gab viele unter seinen Schülern, in denen auf dem Schlachtfeld die Einsicht der Mahamudra entstand. Der Offizier Dar-ma gzhon-nu hatte auf dem Schlachtfeld eine Vision des Samvara (bDe-mchog).« Vgl. Martin o.J.: 7.

¹⁰ Siehe Franke 1984: 161f.

¹¹ Zur Kampagne gegen die Dzungaren, besonders zum Vernichtungskrieg von 1757, siehe Courant 1912: 106–122. Man achte besonders auf die Anmerkung auf S. 108, wo daraufhingewiesen wird, daß auf Seiten der Dzungaren auch Mönche am Kampf teilnahmen. Vgl. auch die Hinweise auf die Kampagne in Thu'u-bkwan Blo-bzang nyi-ma: ICang-skya Rol-pa'i rdo-rje'i mam-thar [=Khyab-bdag rdo-rje sems-dpa'i ngo-bo dpal-ldan bla-ma dam-pa ye-shes bstan-pa'i sgron-nw d/nil bzang-po'i rnam-par thar-pa mdo-tsam brjod-pa dge-ldan bstan-pa'i mdzes-rgyan], Lanzhou, 1989, S. 363–364. Siehe ebenfalls die positiven Kommentare und Reaktionen von Thu'u-bkwan und ICang-skya Rol-pa'i rdo-ije zu der recht blutigen Eroberung von tGyal-rong durch die Mandschus in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts, die Dan Martin dem oben genannten Werk entnommen hat (Martin 1990: 8–12).

¹² Zur jüngsten Darstellung dieser Ansichten siehe wieder Thurman 1995: 36–38.

¹³ Said 1979: 10–11:

Niemand hat jemals eine Methode erfunden, um den Wissenschaftler von seinen Lebensbedingungen zu trennen, von seiner (bewußten oder unbewußten) Zugehörigkeit zu einer Klasse, einer Glaubensrichtung, einer sozialen Position, oder der reinen Tatsache, ein Mitglied der Gesellschaft zu sein. … Ich zweifle z.B. daran, daß es kontrovers sei zu sagen, daß ein Engländer in Indien oder Ägypten im späten 19. Jahrhundert ein Interesse an jenen Ländern hatte, das niemals weit entfernt schien von dem imaginierten Status als britische Kolonien. Dies mag sich ziemlich von der Behauptung unterscheiden, daß alles akademische Wissen über Indien und Ägypten irgendwie durch die rauhen politischen Tatsachen gefärbt, geprägt und verzerrt ist – und doch ist es dies, was ich hier, in dieser Studie über den Orientalismus behaupte, denn wenn es richtig ist, daß keine Wissensproduktion in den Geisteswissenschaften jemals die Einbeziehung eines Autors als ein menschliches Subjekt mit seinen eigenen Existenzbedingungen ignorieren oder abwerten kann, dann muß es ebenso richtig sein, daß es für einen Europäer oder Amerikaner, der den Orient studiert, kein Leugnen der Hauptbedingungen seiner Position geben kann: daß er dem Orient zunächst als ein Europäer oder Amerikaner begegnet, und danach erst als ein Individuum. Und in solch einer Situation ein Europäer oder Amerikaner zu sein, ist keineswegs eine unpassive Tatsache. Es bedeutete und bedeutet, sich, wie undeutlich auch immer, bewußt zu sein, daß man einer Macht mit bestimmten Interessen im Orient angehört und wichtiger noch, daß man zu einem Teil der Welt gehört, der eine definitive Geschichte des Eindringens in den Orient besitzt, und dies beinahe seit den Zeiten Homers.(Anm. d. Hg.: zitiert nach der deutschen Übersetzung, Frankfurt 1981).

¹⁴ Leys 1985: 95–96:

Edward Saids wichtigste Behauptung lautet, daß ›keine Wissensproduktion in den Geisteswissenschaften jemals die Einbeziehung eines Autors als ein menschliches Subjekt mit seinen eigenen Existenzbedingungen ignorieren oder abwerten kann.‹ In einfache Sprache übersetzt scheint das zu bedeuten, daß kein Gelehrter seinem ursprünglichen Zustand entkommen kann: Seine eigenen nationalen, kulturellen, politischen und sozialen Vorurteile müssen sich in seinem Werk widerspiegeln. Über eine solche allgemeine Aussage braucht man kaum zu diskutieren. Tatsächlich ist Saids Buch ein guter Beweis für diese Behauptung: Orientalism hätte offensichtlich von niemand anderem verfaßt werden können als von einem zorngeladenen palästinensischen Gelehrten mit sehr vagem Verständnis der europäischen akademischen Tradition (hier wahrgenommen durch die verzerrte Linse eines bestimmten Typus' amerikanischer Universität, der sich durch unvernünftige Überspezialisierung, einen nichthumanistischen Ansatz und enge, ungesunde Verbindungen zur Regierung auszeichnet).

¹⁵ Der beliebteste Prügelknabe in diesem Kontext, die westliche Vorstellung von Tibet als ›Shangri-La‹, ist hier ein gutes Beispiel, dessen Vorbilder etliche Jahrhunderte zurück verfolgt werden können. Bereits im 13. Jahrhundert findet man eine arabische Beschreibung Tibets, in der es heißt: »Im Lande Tibet verfügen Luft, Wasser, Berge und Ebenen über spezielle Qualitäten. Dort lacht und erfreut sich ein Mensch ständig.« Siehe die Übersetzung aus dem Mu'- jam al-Buldan in Dunlop 1973: 313.

¹⁶ Vgl. Thomas Heberers Aufsatz in diesem Band (Anm. d. Hg.).

¹⁷ Zu einer modernen Version dieses Glaubens siehe Gu Daquan 1982: 49. Eine frühe, Mingzeitliche Darstellung dieser Idee findet sich in Gu Zucheng 1982: 107–108.

¹⁸ Peyrefitte 1992: 526.

¹⁹ Siehe z.B. Bishop 1989, bes. 191–239.

²⁰ Sen 1993: 27f.

²¹ Vgl. Bell 1987: 140–142.

²² Verbrennungsplatz Mahatma Gandhis in Delhi (Anm. d. Hg.).

²³ Dalai Lama 1964: 190.

²⁴ Siehe »Dalai Lama Interviewed«, AFP Report in FBIS-CHI-89-047, 13.3.1989, S. 24–25: »Wenn die Militanten an Einfluß gewinnen, meiner Kontrolle entgleiten und nicht mehr auf meine Gedanken achten, ist meine Alternative, daß ich zurücktrete. Ich lehne Gewalt ab.«

²⁵ Siehe Tsering 1984.

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Bibliographische Ergänzungen

Elliot Sperling

ELLIOT SPERLING (1951–2017) war ein US-amerikanischer Historiker, Associate-Professor an der Universität Indiana und Direktor des Tibetischen Studienprogramms des Instituts für zentral-eurasische Studien. Er ist ein häufig zitierter Experte zu Tibet und dessen Beziehungen zu China. 1973 machte er seinen B.A. am Queens College, 1980 seinen M.A. und 1983 seinen Ph.D. in Central Eurasian Studies an der Indiana University.

© 1997 Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, Bonn, und Thierry Dodin und Heinz Räther

Dieser Artikel wurde in »Mythos Tibet. Wahrnehmungen, Projektionen, Phantasien« / hrsg. von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Zusammenarbeit mit Thierry Dodin und Heinz Räther veröffentlicht; Köln: DuMont, 1997, ISBN 3-7701-4044-3, S. 264-273.

»Mythos Tibet« basiert auf dem gleichnamigen Symposium, das im Mai 1996 in Zusammenarbeit mit dem Seminar für Sprach- und Kulturwissenschaft Zentralasiens der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Forum der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden hat. Das Symposium wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt.

Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, des Autors und Thierry Dodin.

Ornament

Titel- und Hintergrundbild: Leichenfeldbild von Jamyang Khyentse Wangchug (ca. 1420–1500) welches er an seinem seinem Retreatort malte. © Elke Hessel